Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #1

Suche nach Blogpost

 

Hätten Walter, der Typ den man immer in diesen Kinderbüchern suchen musste und die böse Hexe aus dem Westen ein Kind gezeugt, wäre wohl so etwas wie Nick dabei herausgekommen. Seine fettigen Locken hängen unter der roten Mütze hervor, die er auf dem bleichen Kopf trägt. Immerhin verdecken die Haare teilweise seine grünen Zähne, die schief in seinem Mund stehen wie ein verfaulter Lattenzaun. Seine Anwesenheit auf der Party scheint er größtenteils zu nutzen, um die jungen, weiblichen Gäste anzugaffen. Wer mich kennt weiß, dass mich ein äußeres Erscheinungsbild nicht davon abhält mich mit jemandem zu unterhalten, egal wie vergammelt die Person aussehen mag. Immerhin scheint er der interessanteste Gast auf der lahmen Party zu sein, von der ich mich seit meiner Ankunft frage, warum ich überhaupt hingegangen bin. Ich sollte zu Hause sitzen und mich um meinen Blog kümmern. Seit Tagen denke ich darüber nach, was man eigentlich in seinem ersten Blogpost schreibt. Ein Dilemma, über das ich mir zuvor keine Gedanken gemacht habe. Aber kaum ist der Blog fertig, steht man vor dem nächsten Problem. Da soll mal einer sagen, als selbsternannter Schriftsteller hätte man es leicht. Sich mit der einzigen Person zu unterhalten, die genau so deplatziert wirkt wie ich, scheint mir eine gute Idee zu sein. Nach einigem Zögern fängt er an etwas von sich zu erzählen. Die Erklärung für seine Hautfarbe bleibt er mir schuldig, aber ich schiebe es einfach auf den widerlichen Champagner, der literweise ausgeschenkt wird. Seit einiger Zeit lebt er in der Stadt. Unter einer Brücke. Ich weiß nicht, ob er vom dreckigen Fluss angespült wurde. Jedenfalls sieht er so aus. Berauscht von dem ekelhaften Champagner lade ich ihn zu mir nach Hause ein, wo ich noch schmackhaftes Bier gelagert habe, das in keinem guten Haushalt fehlen darf. Wie jede Idee, die man in betrunkenem Zustand hat, stellt sich auch diese als ein großer Fehler heraus.

Ich erwache wie gewöhnlich auf dem Sofa. Oder daneben. Nach einer durchzechten Nacht kann man da nie so ganz sicher sein, da das Gehirn erst mal etwas Anlauf braucht, um zu registrieren, wo man sich befindet. Die Umgebung gleicht meiner Wohnung. Aber der Ort an dem ich mich befinde ist zu sauber, um meine Wohnung zu sein. Nur die Möbel stehen noch da, wo sie hingehören. Nick betritt den Raum und blickt mich mit seinen trüben Augen über einen Wäscheberg hinweg an, den er auf den Armen balanciert.
»Wie kann man nur in so einer unordentlichen Umgebung leben?«
»Wenn ich mich recht erinnere wohnst du unter einer Brücke. Wie ordentlich kann es da schon sein?«
»Wo soll die Wäsche hin?«
»Keine Ahnung. Häng sie aus dem Fenster. Da ist sie an der frischen Luft.«
»Hast du keine Waschmaschine?«
Ich seufze und stehe auf, um ins Badezimmer zu gehen. Nick guckt mir beim Pissen zu. Ich hasse das. Ich bin nicht gut genug bestückt, um damit rumzuprahlen und jeden darauf hinzuweisen, was ich in der Hose habe. Nick verliert eine Hose vom Wäschestapel. Ich lasse die Badewanne voll Wasser laufen und schütte etwas Shampoo hinterher. Ich nehme ihm den Wäschestapel ab und werfe die dreckigen Sachen in die Wanne. Auch die Hose.
»So wäschst du deine Wäsche?«, fragt Nick empört. Er beginnt, mir auf die Nerven zu gehen.
»Nein«, sage ich, »wo wäschst du deine Wäsche? Im versifften Fluss unter der Brücke?«
Er sieht mich verärgert an. »Nein, das würde ich nie machen.« Er verschwindet in einem anderen Zimmer. Geräusche von klirrendem Geschirr und zerknülltem Papier auf dem Boden sagen mir, dass er die Küche gefunden hat.
»Wieso liegen überall zerknüllte und zerrissene Zettel in der Küche?«
»Sag mal«, ich setze mich und zünde mir eine Zigarette an, die ich zufällig gefunden habe, »hast du auch Hobbys, die nicht beinhalten, dass du mich alle dreißig Sekunden nervst?«
»Ich will doch nur helfen.«
»Ich erkläre dir mal kurz was«, sage ich, ziehe an der Zigarette und huste einige Sekunden lang vor mich hin, »ich wohne hier in einem perfekt organisierten, chaotischem System. Auf Außenstehende mag es nicht so wirken, aber ich weiß immer ganz genau, wo alles ist. Und du bringst dieses System gerade durcheinander.« Er sieht mich ungläubig an. »Außerdem hältst du mich von der Arbeit ab.«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich bin Autor. Schriftsteller. Geschichtenschreiber. Wie auch immer du es nennen willst.«
»Wirklich?«
»Naja, zumindest bezeichne ich mich so.«
»Und davon kannst du leben?«
»Bisher nicht.«
»Warum machst du dann nicht was richtiges?«
»Weil es für mich scheinbar nichts gibt. Mein ganzes Leben lang, hat mir nie jemand eine Chance gegeben. Ich stand schon immer als Verlierer mit leeren Händen da, bevor ich überhaupt die Möglichkeit auf einen Sieg hatte. Und da mir offensichtlich niemand helfen will, nehme ich es jetzt selbst in die Hand. Und wenn es nichts wird, bin ich wahrscheinlich bald dein Nachbar unter der Brücke.«
Er sieht mich verwirrt an. »Das glaube ich nicht.« Er schaut die aufgestapelten Schreibratgeber vor mir an. »Lass mich wenigstens noch diese Bücher ins Regal stellen.« Er nimmt einen Stapel Bücher vom Tisch und blickt sich nach einem Regal um. Es gibt kein Regal. Er legt die Bücher wieder weg. »Ich baue dir schnell ein Regal. Hast du Bretter da? Und ein paar Schrauben? Und eine Bohrmaschine wäre hilfreich. Oh und eine Wasserwaage. Und vielleicht hast du sogar …«
Ich erschlage ihn mit dem dicksten Schreibratgeber, den der Bücherstapel zu bieten hat.
Ich lege den Schreibratgeber weg und drücke die Zigarette aus. Während ich noch überlege, wie man am besten eine Leiche verschwinden lässt, klopft es an der Tür.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 2

9 Gedanken zu “Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #1

    1. Ganz ehrlich. Das schwierigste war, mir zu überlegen, was ich eigentlich im ersten Post schreiben soll. Mir fiel da einfach nix gescheites ein, was irgendwie die Richtung vorgibt. Und dann hatte ich quasi die Idee mit einer Geschichte darüber, wie ichs nicht hinkriege, nen ersten Post zu schreiben. Voll Meta und so.

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Laber mich voll, ich mag das.

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