„Mach was!“ – Mit Geistern

Als ich gestern auf der Arbeit saß und wie immer versuchte, mich auf Dinge zu konzentrieren, die absolut nichts mit meiner stupiden, nervtötend langweiligen Kackarbeit zu tun haben, kam mir plötzlich ein Gedanke. „Ich muss dringend hier raus“, dachte ich. „Ich brauche einen neuen Job. Einen der mich nicht täglich einem Amoklauf näher bringt.“ Aber das nur so nebenbei. Denn mir kam noch ein weiterer Gedanke. Nämlich eine Idee zu einer Geschichte für Herbas und Poes „Mach was! – Mit Geistern“. Also habe ich mich gestern nach Feierabend hingesetzt, gekotzt bei dem Gedanken, dass ich am nächsten Tag wieder in den Kackladen muss, und dann angefangen zu schreiben. Das Ergebnis ist sicher nicht perfekt, aber mehr war in der kurzen Zeit dann halt nicht mehr drin.

Eine Schneefestgeschichte

Der erste Schnee rieselte auf Lebingen hinunter und blieb auf den Dächern der Altbauten liegen, die aneinandergereiht im heruntergekommenen Stadtteil Winding standen. Hier lebten die Armen und Kranken und Hungrigen, die sich keine Medizin oder Nahrung leisten konnten. Für sie alle leitete der Schnee eine lange Zeit der Kälte ein, der sie sich nur mit Hilfe von löchrigen Decken und nassem Feuerholz entziehen konnten.

Eberhard Skruhtsch hingegen schaute mit Freude zu, wie sich der Schnee auf seiner Fensterbank anhäufte. Für ihn bedeutete der Winter eine hervorragende Einnahmequelle. Eberhard lebte in Winding weil die Mieten so günstig waren und er hier ungestört an neuen Ideen feilen konnte, mit deren Hilfe es ihm möglich war sein Vermögen zu vermehren. Seine größte Schöpfung war das Schneefest, das er im letzten Jahr ausgerufen hatte. Die Bewohner von Lebingen, ob arm oder reich, waren immer auf der Suche nach einer guten Gelegenheit ihr Geld zu verprassen und sich im besten Fall dabei zu besaufen. Glühweinstände und Lebkuchengeschäfte boten im Winter die perfekte Gelegenheit dazu. Das erste Schneefest war ein Riesenerfolg gewesen. Eberhard rieb sich die Hände und dachte an den Profit, den er in diesem Jahr machen würde. Er schaute hinunter auf die Straße. An einer brennenden Mülltonne stand eine Gruppe von Obdachlosen in alte Lumpen gekleidet und versuchte, das Feuer in Gang zu halten, indem sie teile ihrer Kleidung hineinwarfen. Was für ein kläglicher Anblick. Eberhard wandte sich ab und setzte sich an den warmen Kamin, in dem ein prächtiges Feuer brannte. Er warf noch einen Holzscheit nach. Der Geruch von Mahagoni erfüllte den Raum. Eberhard heizte nur mit dem feinsten Holz, das man für Geld kaufen konnte. Er überlegte, ob er noch etwas Bambus nachwerfen sollte, aber entschied, damit noch etwas zu warten. Er starrte in die Flammen, dachte über das viele Geld nach, das ihm das Schneefest bescheren würde und döste in seinem Sessel ein.

Ein knackendes Geräusch weckte Eberhard aus seinen Träumen von Ruhm, Reichtum und Macht – also allem, was er bereits hatte. Vor dem Kamin stand eine Gestalt und stocherte mit einem Schürhaken in der Glut herum. Das Holz knackte, wenn die Flammen wieder Besitz von ihm ergriffen.

»Was machst du in meiner Wohnung?«, fragte Eberhard wütend.

Die Gestalt drehte sich um. Es war ein Junge, der, in ein weißes Bettlaken gewickelt, vor ihm stand und grinste. »O, du bist wach. Wurde auch Zeit.«

»Was machst du mit meinem Schürhaken?«

»Dein Feuer drohte auszugehen.«

»Was machst du mit meinem Feuer?« Eberhard stand auf. »Hau ab, Junge, bevor ich dir ein paar scheuer und dich in die Flammen stoße.«

»Mann, du bist echt ein Arschloch. Jakob Harley hat nicht untertrieben.«

»Jakob? Woher kennst du ›Kob‹?«

»›Kob‹? Er hat mir gar nicht gesagt, dass er so einen lustigen Spitznamen hat.«

»Er ist seit Jahren tot.« Eberhard musterte den Jungen. »Du warst zu dem Zeitpunkt nicht mal geboren.«

»Du weißt gar nichts, alter Sack. Also hör zu. Ich bin der Geist des vergangenen Schneefestes.«

Eberhard dachte kurz über das Gehörte nach und reagierte, wie jeder normale Mensch reagieren würde. »Hä?«

»Ich bin der Geist …«

»Ja, ja, ich habe dich beim ersten Mal verstanden, du freches Gör’. Aber ich verstehe nicht. Es gibt erst ein vergangenes Schneefest. Und Geister gibt es überhaupt nicht.«

»Gibt es wohl.«

»Gibt es nicht.«

»Gibt es wohl.«

»Gibt es nicht.«

»Wohl.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein … ach, lass den Quatsch.«

»Also gut. Ja, es gab erst ein Schneefest. Und ich war da. Mann, was für eine grandiose Veranstaltung. Mama hat mir Lebkuchen gekauft. Und Zuckerwatte. Und Papa hat sich mit Glühwein abgschossen und sich vollgekotzt. War ein lustiger Abend. Bis …«

»Bis was?« Auf Eberhards Gesicht hatte sich ein zufriedenes Grinsen bei den Ausführungen des Jungen gebildet, das jetzt verschwand und zu seiner ausdrucklosen Form zurückkehrte, die er immer an den Tag legte.

»Bis ich von den ganzen Irren bei der Glühwein-Happy-Hour totgetrampelt wurde. Und das ist allein deine Schuld, du Penner.«

»Wieso meine Schuld?«

»Weil du in deiner Geldgier nur noch mehr Glühwein verkaufen wolltest. Ich kenne den Trick. Habe ich bei meinem Limonadenstand auch immer gemacht. Wenn das Geschäft nur noch schleppend läuft, macht man die Kunden eben noch mal mit einem Rabatt heiß, damit sie danach doch wieder zum normalen Preis weiterkaufen.«

»Toller Trick, nicht wahr. Funktioniert immer.«

»Wenn man deshalb verreckt, ist es nicht mehr so toll.«

»Das ist nicht mein Problem, Junge. Deine Eltern hätten auf dich aufpassen sollen, statt sich sinnlos zu besaufen. Dann wärst du jetzt noch am Leben. Also such die heim und spuk da rum. Ich will noch etwas schlafen, bevor ich mich morgen um das Schneefest kümmern muss.«

Eberhard setzte sich wieder in seinen Sessel und schloss die Augen.

Eine schallende Ohrfeige weckte Eberhard unsanft aus seinen Träumen von Whirlpools voller nackter Thailänderinnen. Eine angezogene Frau schaute ihn mit ihren grünen Augen böse an.

»Wach auf, du Fettsack.«

»Hm? Was?« Fragte Eberhard schlaftrunken und mit den Gedanken noch im Whirlpool.

»Du warst ganz schön böse zum Geist des vergangenen Schneefestes.«

»Er wird es überleben.«

»Er ist bereits tot.«

»Ach ja. Na ja, was will man machen.«

Die Blondine seufzte. »Ich bin der Geist des diesjährigen Schneefestes.«

»Und was willst du? Wurdest du auch von ›Kob‹ geschickt?«

»›Kob‹? Er hat mir gar nicht gesagt, dass er so einen sexy Spitznamen hat.«

»Ja, ja, können wir dann zu dem Punkt kommen, wo du mir anbietest, dich für Geld frei zu machen?«

Die Ohrfeige schallerte heftiger als die Vorherige. Eberhard schüttelte den Kopf und hielt sich die Wange. »Ich bleibe wohl doch bei meinem Thailandurlaub.«

»Weißt du was?«

»Was?«

»Eigentlich sollen wir dir helfen. Jakob Harley meinte, du könntest gerettet werden. Wir könnten dich ändern. Aus dem Arschloch, dass du jetzt bist, einen netten Mann machen, der nicht in der Hölle in Ketten liegen und Scheiße schaufeln muss, bis in alle Ewigkeit. Aber du hast jede Scheiße verdient. Ich bin weg.«

Die Frau zog ihr Shirt hoch und zeigte Eberhard ihre prallen Brüste, die er nie kriegen würde. Dann verschwanden sie und ihre Brüste vor Eberhards Augen. Er guckte verwirrt auf den Kaminsims vor sich und das Foto von sich selbst und Jakob in jungen Jahren. »Wenn er mir helfen will, soll er halt selbst kommen und keine Pissblagen und Nutten schicken.« Er setzte sich wieder hin und döste ein.

Ein »Wach auf, du Arschloch« weckte Eberhard aus seinen Träumen von Badewannen voller Geld und Thailänderinnen in Bikinis aus Geldscheinen, die ihm mit Palmwedeln aus Aktien Luft zuwedeln. Vor ihm stand ein Mann in Ketten, in zerrissener Kleidung.

»›Kob‹? Bist du das?«

»Ja, bin ich«, sagte Jakob. »Musstest du den anderen Geistern wirklich von meinem Spitznamen erzählen? Alle machen sich über mich lustig.«

»Das solltest du doch gewohnt sein. Haben wir schließlich auch immer getan.« Eberhard konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, bei dem Gedanken an die bösen Sprüche, die ›Kob‹ sich immer hatte anhören müssen.

»Hör auf zu lachen, Eberhard. Ich bin in ernster Mission hier. Ich bin der Geist des zukünftigen Schneefestes.«

Eberhard verdrehte die Augen. »Sind wir dann bald fertig hier? Ich muss schlafen. Morgen ist ein großer Tag.«

»Lass mich dir nur zeigen, was aus deinem Schneefest wird. Dann kannst du tun, was immer du willst.«

»Also gut.«

Der Geist von Jakob schnippte mit den Fingern und sie standen in einem Einkaufszentrum. Eberhard schaute sich um. »Imposanter Laden«, sagte er. Sein Blick blieb an einem Banner kleben, das in großen Buchstaben ein »Frohes KonsumUmnachten« wünschte. »Was ist ›KonsumUmnachten‹?«

»Das ist das, was aus deinem Schneefest wird. Mit den Jahren wird es immer größer werden. In aller Welt wird man es feiern. Es gibt Schokoladenfiguren und die Leute schenken sich unützen Krempel und alle werden arm und feiern gemeinsam, obwohl sie sich hassen und kein Geld haben und die Selbstmordraten steigen, weil die Einsamen und Armen und Hungernden an diesem Tag besonders verzweifelt sind.«

»Also wird mein kleines Fest der absolute Hit und ich werde stinkreich und berühmt und kann so viele Thailänderinnen haben wie ich will?«

»Hast du mir nicht zugehört? Selbstmörder und so weiter.«

»Was interessieren die mich? Ich bin reich ohne Ende und kann tun und lassen was ich will.«

»Du bist einfach unverbesserlich, Eberhard.« Jakob schnippte mit den Fingern.

Eberhard wachte in seinem Sessel auf. Hatte er alles nur geträumt? Würde es gar kein KonsumUmnachten geben? Würde es nie Schokoladenfiguren mit seinem Gesicht geben? Das konnte er nicht zulassen. Von nun an würde er alles daran setzen, das Schneefest zum größten Fest aller Zeiten und zum weltweiten Phänomen zu machen. Er grinste zufrieden. Er hörte Gelächter von draußen. Er ging ans Fenster. Es waren die Obdachlosen. Trotz ihrer Armut schienen sie Freude zu empfinden. Heute, beim ersten Schnee, der das Schneefest einleitete. Waren sie bereits in der Stimmung, gemeinsam zu feiern, wie es später die ganze Welt tun würde. Eberhard öffnete das Fenster.

»He, ihr«, rief er zu den Obdachlosen hinunter. »Haltet die Fresse. Ich werde stinkreich sein und will schlafen.« Er warf einen Blumentopf nach den Obdachlosen. Zufrieden schloss er das Fenster und ging zu Bett um von seiner Zukunft voller Thailänderinnen in seinem Schloss aus Gold zu träumen. Mit dem Gedanken an eine rosige Zukunft schlief er ein.

5 Gedanken zu “„Mach was!“ – Mit Geistern

Laber mich voll, ich mag das.

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