LIVINGON #4 – GUNS & CARPETS – APR 2020
Elin Parker schaute aus dem Fenster. »Gerard, sagtest du nicht, dass dies die friedlichste Stadt der Welt sei?«
Gerard Barrow fummelte mit einer Zange an einer Steckdose herum. »So stand es in der Zeitung. Warum fragst du?«
»Das Auto unserer Nachbarn wird gerade gestohlen, jemand versucht eine Person vom Dach gegenüber zu werfen und vorhin wurde ein Teppich, aus dem zwei Füße herausschauten, im Müllcontainer unten im Hof entsorgt. Amateurhaft, wenn ich das anmerken darf.«
»Ich schätze, auch die friedlichste Stadt hat mal einen schlechten Tag.« Gerard zog an einem Kabel in der Steckdose. »Welcher Trottel hat diese Kabel verlegt?« Ein letzter Ruck lockerte das Kabel.
Ein seltsames Geräusch aus der Nachbarwohnung. Als würde etwas fallen.
»Was war das?« Gerard legte ein Ohr an die Wand.
»Du weißt genau, was es war.« Elin schüttelte den Kopf. »Du holst den Teppich, ich hole die Schaufel.«
Animal Mother schlug mit ihrer Tigerpranke zu und schleuderte Polizeichef Clifton Blake gegen marode Fässer. Er blieb in einem Haufen Holz liegen.
Detective Vincent Verity eröffnete das Feuer auf die animalistische Gefahr. Animal Mother drehte sich um. Die Kugeln prallten an ihrem Gürteltierpanzer ab.
»Was zur Hölle ist das für ein Viech?« Verity schaute Daxton Scott und Lillian Gillan an, die mit grüner Haut und Fell am gesamten Körper neben ihm standen. »Und was zur Hölle seid ihr für Viecher?«
»Es ist eine lange Geschichte«, sagte Daxton.
»Es ist eine sehr kurze Geschichte«, sagte Lillian. »Du hast Kaffee mitgebracht und dann ging alles vor die Hunde.«
»Kaffee?« Verity nahm Animal Mother erneut unter Beschuss. »Das bringt nichts«, erkannte er richtig. »Wir brauchen einen anderen Plan.« Er schaute sich um. »Wo seid ihr?«
Daxton und Lillian liefen zum Ladekran. An dem langen Stahlseil hing ein schwerer Container. Genau das richtige, um Animal Mother loszuwerden.
»Ich lenke die Hafenarbeiter ab und du kletterst auf den Kran«, schlug Lillian vor.
»Kein Problem. Ich nutze einfach meine neuen Tarnfähigkeiten.« Er färbte sich knallrot.
»Nimm lieber eine Farbe, die nicht so auffällig ist.«
Daxtons Haut wurde blau. Er ließ den Kopf sinken und seufzte. »Mir fehlt eindeutig die Übung.«
»Beim nächsten Außeneinsatz nehme ich einen Raketenwerfer mit.« Verity wich einem Schlag der Tigerpranke aus. Er rollte neben einen Kistenstapel und feuerte seine Waffe ab. Die Kugeln gingen ihm aus.
Gelbe Schlangenaugen starrten ihn an. »Dassss isssst dein Ende«, zischte Animal Mother und holte zum entscheidenden Hieb aus.
»Später vielleicht«, sagte Verity, presste sein Gesicht auf den Boden und hielt sich die Arme über den Kopf.
Ein vorbei rauschender Container fegte Animal Mother davon und versank mit ihr im Hafenbecken.
Der One Armed Gun Man zielte mit seinem Revolver auf Alison Conarys Kopf. Alison erkannte ihn. Es war der Verbrecher, den sie und Frank verfolgt hatten.
Die Explosion hatte Wayne Hill einen Arm gekostet und er suchte jemanden, den er dafür verantwortlich machen konnte.
»Du denkst darüber nach, wegzulaufen, nicht wahr?« Wayne wedelte mit der Pistole. »Denkst, dass ich dich ohnehin nicht treffen würde.« Er zielte an Alison vorbei und feuerte die Waffe ab.
Die Kugel prallte von einem Stein ab, flog zwischen Alisons Beinen hindurch, streifte ein Abflussrohr, änderte die Richtung und tötete eine Fliege, die auf Waynes Schulter saß. »An deiner Stelle, würde ich genau dort stehen bleiben. Wir müssen uns unterhalten.«
»Von einem Ventilator erschlagen.« Elin pustete in ihren Kaffeebecher. »Unglaublich. Du bist wirklich ein Naturtalent.«
Gerard grub mit der Schaufel ein Loch im Wald. »Du weißt, dass es keine Absicht ist.«
»Du könntest trotzdem vorsichtiger sein. Wenn man so viele Leichen hinter sich gelassen hat, sollte man sich mal Gedanken machen.« Elin stellte ihren zu heißen Kaffebecher auf einen Baumstumpf. Der Becher fiel um. Der Kaffee ergoss sich über den Waldboden und sickerte in die Erde.
Der dumpfe Hall von Stimmen. Die ersten Geräusche, die Tanaya Woods seit Tagen hörte. Sie wusste nicht, wie lange sie schon gelähmt in totaler Finsternis lag. Ihre letzte Erinnerung war ein heranrasendes Auto auf der Straße im Wald, als sie von der Demonstration gegen die Abholzung kam. Vor unbestimmter Zeit wachte sie in dieser Dunkelheit auf. Bewegungsunfähig. Vom Kopf abwärts gelähmt. Ein Luftloch über ihrem Gesicht hielt sie am Leben. Aber wie lange noch? Um Hilfe rufen. Nicht möglich. Nur ein Krächzen aus der trockenen Kehle. Tränen. Die Erkenntnis, dass Rettung unwahrscheinlich war. Tropfen auf ihr Gesicht. Aus der Erde über ihr. Der Geschmack von Kaffee. Seltsam.
Gerard steckte die Schaufel in den Boden. »Das sollte tief genug sein.« Er schaute in das Loch. »Glaubst du, wenn in vielen Jahren jemand die Leichen hier findet, wird man hier einen Friedhof eröffnen, weil es zu viel Aufwand wäre, die ganzen Leichen auszubuddeln?«
»Manchmal habe ich das Gefühl, dass du Spaß am versehentlichen Töten hast.«
»Nein, nein. Aber wir wissen beide, dass sich hier schon bald einige Körper ansammeln werden.«
Die Erde wackelte. Laub wirbelte auf. Der Boden riss auf. Wurzeln und Ranken schossen in die Luft. Äste legten das Gesicht von Tanaya Woods frei. Eine Ranke goss den Rest des Kaffes in Tanayas Mund.
»Ah, das tat gut.« Sie bäumte sich auf. Überall aus ihrem Körper sprossen Gewächse. »Danke für den Kaffee. Der hat wirklich geholfen. Habt ihr zufällig meine Mörder gesehen?«