Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #6

Zu Teil 5

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Der Zirkus ist in der Stadt. Das würde mich absolut nicht interessieren, wenn ich nicht gerade auf einem Stuhl in der Zirkusmanege aufwachen würde. Umstellt von Löwen und einem Type, der aussieht als bestünde er komplett aus Schuppenflechte, der gerade Flammen spuckt. Er sieht mich an und legt die Fackel in seiner Hand auf den sandigen Boden.
»Du bist wach«, stellt er richtig fest und bläst schwarzen Rauch aus seinen großen Nasenlöchern.
Ich überlege, ob ich so tun soll, als wäre ich direkt wieder eingeschlafen, aber verwerfe den Gedanken So leicht sind Zirkusfreaks wahrscheinlich nicht zu täuschen. Der Flammenschlucker kommt auf mich zu und schlägt mir ohne Vorwarnung in die Fresse.
»Das ist dafür, dass ich in deiner Bruchbude auf einer Bananenschale ausgerutscht bin«, erklärt er seine Tat.
Ich spucke etwas Blut aus. Ich esse überhaupt keine Bananen, denke ich.

Ein übergewichtiges Wesen, das ein Mensch sein könnte, stampft durch den Sand und schickt den Feuerschlucker weg.
»Ich muss mich entschuldigen«, sagt er, »Drago kann etwas temperamentvoll werden.«
»Er sollte mal seine Haut behandeln lassen. Die ist rauer als Schmiergelpapier.« Ich versuche, die Schmerzen im Gesicht zu ignorieren und frage, was der Zirkus von mir will.
Der fette Kerl im Anzug stellt sich als der Direktor vor und hält mir eine zerfurchte Hand hin.
»Wohl mit einem Schnitzel in der Hand zu nah am Löwenkäfig gestanden«, sage ich und nehme den Handschlag an. Der Direktor findet meinen Kommentar anscheinend weniger lustig und zerquetscht mir fast die Hand.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, sagt er. Eine unnötige Bemerkung, nachdem einem schon in die Schnauze geschlagen wurde. »Es geht uns nicht um dich. Wir sind hinter einer Person her, die du kürzlich kennen gelernt hast.«
Ich schätze, er meint Fey. Ergibt Sinn. Wenn ein schönes Mädchen Interesse an mir zeigt, muss etwas falsch mit ihr sein. Wahrscheinlich gehört sie zu diesen Zirkusfreaks und ist eigentlich die bärtige Lady von diesem Verein. Rasiert sieht sie aber echt hübsch aus, das muss man ihr lassen. Während ich darüber nachdenke, wie es wohl ist, wenn man einen Rasierer mit einer Frau teilen muss, redet der Direktor weiter. »Ich habe gehofft, du könntest mir vielleicht helfen, die Person ausfindig zu machen.«
»Was wollt ihr denn von ihr?«
»Nun, sagen wir, wir haben noch eine Rechnung offen.«
Klar, sie hat ihm bestimmt die Zirkuskasse geklaut und sich aus dem Staub gemacht. Ich würde auch nicht bei diesen Freaks bleiben wollen, egal wie ungewöhnlich stark mein Haarwuchs sein mag.
»Hör zu«, sage ich und sehe in seinem Blick bereits, dass ihm meine Antwort nicht gefallen wird, »ich kenne Fey erst seit Kurzem, aber bisher war sie nett zu mir. Warum sollte ich sie euch also ausliefern?«
Der Blick des Direktors wandelt sich von purer Bösartigkeit zu völliger Ahnungslosigkeit. »Fey?«
Ich gucke noch doofer als er und weiß gar nicht mehr, worum es hier geht.
»Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, sagt der Direktor. »Ich bin auf der Suche nach Nick. Mir kam zu Ohren, dass du ihn kennst und vielleicht weißt, wo er sich aufhällt.«
»Nick? Den Brückenpenner? Klar, den könnt ihr gerne haben. Als ich ihn zuletzt sah, lag er tot auf meinem Teppich.« Der Blick des Direktors verrät mir, dass er mir nicht ganz folgen kann, also füge ich hinzu: »Zumndest dachte ich das. Aber nachdem ich mich nur mal eine Sekunde umgedreht habe, war die Leiche verschwunden.«
»Glaub mir, Nick ist nicht tot.« Er klingt, als sei er sich seiner Sache so sicher, wie nie zuvor. »Du weißt nicht zufällig, wo ich ihn finden kann?«
»Alles was ich weiß ist, dass er unter einer Brücke lebt. Wie viele Brücken kann die Stadt schon haben?«
Das fette Gesicht des Direktors hellt auf, wodurch die Furchen auf seiner Stirn sich etwas zurückziehen. »Danke. Du hast mir sehr geholfen. Du weißt ja: Der Fluss ist lang.«
»Kein Problem«, sage ich, versuche meine Verwirrung über den letzten Kommentar zu verbergen und stehe auf »Kann ich dann gehen? Ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern, die nichts mit Brücken und Obdachlosen zu tun haben.«

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Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #5

Zu Teil 4

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Während ich noch damit beschäftigt bin, blöd zu gucken, höre ich von draußen eine raue Stimme: »Polizei!«
Wenige Sekunden später tritt ein Schuh der Größe 58 ein Loch in die Tür.
»Scheiße«, sagt die Stimme, während das Bein versucht, sich aus dem Loch zu befreien. Nach einiger Zeit gelingt das Unterfangen und die Reste der Tür fallen in den Raum. Im Türrahmen steht ein haariges etwas, dass sich auf den zweiten Blick als Mensch herausstellt. Der lange Bart ruft »Niemand bewegt sich« und betritt zusammen mit den restlichen Haaren den Raum, um sich umzusehen. Hätte er nicht bereits verraten, dass er Polizist ist, würde ich ihn für einen verwirrten Holzfäller halten, der sich im Wald verirrt hat, da durch die ganzen Haare sein Sichtfeld arg eingeschränkt ist.
»Wo ist die Frau?«
»Die hat sich derbe den Arsch verbrannt, also schätze ich mal, sie ist bei der Feuerwehr«, sage ich.
Die Antwort gefällt dem Haarbüschel offensichtlich überhaupt nicht. »Verdammt.« Eine behaarte Hand fuckelt eine Polizeimarke unter dem Bart hervor und hält sie uns vor die Nasen. »Wer seid ihr?«
»Ich bin Reporterin«, sagt Fey, bevor ich eine Gelegenheit kriege, den Polizisten weiter zu verärgern. »Ich recherchiere in einem Mordfall und die Bewohnerin dieser Behausung hat sich bereit erklärt, ein paar Fragen zu beantworten.«
Der Bart grummelt etwas Unverständliches zusammen und steckt die Marke weg. »Die Frau, die hier lebt ist gefährlich. Ich bin schon lange hinter ihr her. Glaubt ihr besser kein Wort. Sie ist eine Betrügerin.«
»Vielleicht sollte sie mal einen Vermieter betrügen, damit sie aus dieser Bruchbude rauskommt«, sage ich.
Die Augen hinter den Haaren schauen mich böse an. »Das ist kein Spiel, Freundchen.«
Ich kapiere mal wieder gar nichts.
»Ihr geht jetzt besser.«
Das lebende Haar lässt keinen Zweifel daran, dass das Gespräch beendet ist und wartet, bis wir die Hütte verlassen haben, bevor er uns hinterher ruft, dass wir die Stadt nicht verlassen sollen, da er noch ein paar Fragen an uns haben könnte.
Ich habe ebenfalls ein paar Fragen, als ich mit Fey zurück zur Stadt gehe. Sie scheint von den Ereignissen völlig unbeeindruckt zu sein.
»Was zur Hölle ist da gerade passiert?«, frage ich.
Fey zuckt nur mit ihren dünnen Schultern und geht weiter.
»Also ich weiß nicht wie oft du schon spontane Selbstentzündungen gesehen hast, aber für mich war es das erste Mal.«
»Mach dir keine Sorgen. Ihr geht es sicher gut.«
»Ob es ihr gut geht ist mir scheißegal. Ich will nur wissen, was hier abgeht.«
Fey bleibt stehen und sieht mir in die Augen. »Glaub mir. Zu diesem Zeitpunkt ist es besser, wenn du es nicht weißt.«
»Was soll das schon wieder heißen?«
»Wenn du bereit bist, wirst du es verstehen.«
»Du klingst wie einer dieser alten Lehrer mit weißem Bart aus einem Kung Fu Film.«
»Ich habe noch etwas zu erledigen. Geh nach Hause und schlafe etwas. Ich komme später vorbei.«
Fey streichelt mir über den Arm und lässt mich in der Fußgängerzone stehen. Ich gehe nach Hause. Vielleicht schaffe ich es ja endlich mal, etwas für den Blog zu schreiben. Schon im Treppenhaus merke ich, dass daraus nichts werden wird. Die Tür zu meiner Wohnung steht offen. Innen herrscht Chaos. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, aber es ist eine andere Art von Verwüstung, als sonst. Eine, die ich nicht selbst verursacht habe. Vielleicht sollte ich Nick suchen und ihn bitten, hier aufzuräumen. Ich betrete vorsichtig die Wohnung und schaue mich nach möglichen Eindringlingen um, kann aber nur eine Kakerlake entdecken, die mir unbekannt vorkommt. Wahrscheinlich die Tochter der Kakerlakenfamilie, die unter der Spüle in der Küche wohnt. Ich will mich hinsetzen, um meine Gedanken zu sortieren. Auf dem Weg zum Sessel vernehme ich ein dumpfes Pochen. Es folgt Schmerz am Hinterkopf. Und Dunkelheit.

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Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #4

Zu Teil 3

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Hatte ich bisher Zweifel, ob es eine gute Idee war hier her zu kommen, weiß ich jetzt, dass es ein gewaltiger Fehler war.
»Setzt euch«, sagt sie, als ob es hier tatsächlich eine Möglichkeit gäbe es sich bequem zu machen. »Ich hole nur etwas Feuerholz.« Sie schwingt mit ihrer Federboa aus dem Raum, wie ein bunter Vogel auf der Suche nach einem Wurm.
»Fey, die Tussi hat sie doch nicht alle. Lass uns einfach abhauen. Komm ich gebe ein Bier aus.«
»Du solltest nicht trinken.«
»Dann halt einen Kaffee.«
»Koffein ist nicht gesund.«
»Meine Fresse. Ich kaufe dir einen Kopfsalat wenn wir sofort gehen.«
»Ich muss ihr ein paar Fragen stellen. Es dauert nicht lange. Sie kann mich auf die Spur eines Mörders führen.«
»Eines Mörders? Würde mich nicht wundern wenn die Bekloppte selbst ein paar Leichen im Keller hat.«
Fey sieht sich den dreckigen Hüttenboden an. »Sie hat gar keinen Keller.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Nein.«
Die mysteriöse Frau wackelt mit Holzscheiten auf dem Arm zurück in die Hütte und lässt sie krachend auf den Boden fallen. Ich sehe mich nach einem Kamin oder einer anderen Art von Feuerstelle um. Ich finde keine. Sie kniet auf dem Boden und legt das Holz in der Mitte des Raums zusammen.
»Ist es nicht etwas fahrlässig, mitten auf dem Holzboden einer Holzhütte ein Feuer zu machen?«
Sie hört mir gar nicht zu und beginnt rumzufackeln. Ich gehe einen Schritt zurück, um näher am Ausgang zu stehen wenn die Bude Feuer fängt. Fey steht dicht vor mir. Im Ernstfall kann ich sie schnell aus dem drohenden Inferno ziehen. Die Feuerzünderin muss selbst klar kommen.
»Ihr seid wegen den Kindsmorden hier«, stellt die Zeugin fest, während vor ihr die Flammen aufsteigen und beginnen den Raum in trüben Dunst zu tauchen. »Ich kann euch sagen wer der Täter ist, aber es wird euch nicht helfen. Ihr werdet nur Erleuchtung erlangen wenn ihr selber herausfindet was passiert ist.«
»Was soll der Quatsch?«, frage ich, wenig verwundert darüber, dass wir uns den Weg besser gespart hätten. »Sag schon wer der Täter ist, damit wir alle wieder in Ruhe schlafen können.«
»Keine Angst«, sagt die Frau und atmet den Rauch des Feuers ein. »Alles hängt zusammen.«
»Was zur Hölle soll das bedeuten?« Hätte ich jemals einen Faden gehabt, hätte ich ihn spätestens jetzt verloren.
Ein Geräusch lässt die Frau herumfahren. Mit weit aufgerissenen Augen springt sie ins Feuer. Und verschwindet in einer Stichflamme, die einen schwarzen Fleck an der Decke der Hütte hinterlässt.
Ich starre in die Flammen, um nach den Überresten der Bekloppten zu suchen. Nichts zu finden. Das Feuer lodert ruhig vor sich hin, als wäre nicht gerade eine Frau in es gesprungen und im flammenden Inferno verschwunden.

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Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #3

Zu Teil 2

Suche nach Blogpost

Ich sollte die Zeit nutzen um am Blog zu arbeiten, oder etwas brauchbares zu Papier zu bringen. Stattdessen tue ich das, was ich am besten kann und surfe ziellos im Internet, das ich bei einem Nachbarn anzapfe ohne das er davon wüsste – oder es stört ihn einfach nicht. Ich stoße auf einen Artikel über Entführungen hier in der Stadt. Von einer Serie ist die Rede. Erst vor wenigen Tagen gab es ein neues Opfer. Die Verschwundenen sind nie wieder aufgetaucht. Ich hatte am Rande davon gehört, aber ich befasse mich nicht mit so etwas. Es passiert zu viel Scheiße auf der Welt. Wenn man das an sich ran lässt, kann man sich nur noch die Kugel geben. Und ich kann mir keine Kugel leisten.
Fey löst mich mit einem Klopfen an der Tür aus dem Wirrwarr von Informationen die mich im Leben kein Stück weiter bringen werden und wir brechen auf um den Zeugen zu befragen.
Wenn jemand neu in einem Ort ist kann man davon ausgehen, dass er sich wie ein Tourist verhält.
Fey bestaunt die Fußgängerzone als hätte sie noch nie Kopfsteinpflaster voller Taubenscheiße gesehen.
»Wirklich beeindruckend.«
»Was?«
»Was die Menschen in der Lage sind zu erschaffen.«
»Menschen sind in erster Linie in der Lage alles zu zerstören, was von anderen geschaffen wurde. Eigentlich sind sie mit nichts anderem beschäftigt.«
»Wo ich herkomme gibt es sowas imposantes nicht.«
Mich beschleicht das Gefühl, dass sie für eine Reporterin wenig rumgekommen ist.
»Die Welt ist im Wandel!« Auf einer Kiste steht eine schöne Frau, gehüllt in eine Federboa, und wedelt wild mit den Armen. Sie zeigt auf die vorbeilaufenden Passanten und erzählt ihnen was die Zukunft ihrer Meinung nach für diese bereit hält. Es ist eine Aneinanderreihung von Tragödien.
»Ich schätze die Population der Stadt nimmt bald rapide ab«, sage ich und verdrehe die Augen.
»Du wirst große Qualen erleiden«, ruft die Frau und deutet mit dem schwarz lackierten Fingernagel ihres krummen Zeigefingers auf mich.
»Ich glaube nicht an das Schicksal«, sage ich.
»Aber das Schicksal glaubt an dich.«
»Gut. Wenigstens etwas, das an mich glaubt.« Ich zünde mir eine Zigarette an.
»Das ist nicht gut für dich.« Feys Besorgnis scheint echt zu sein.
»Wenn ich der komischen Tussi da glauben darf bin ich sowieso nicht mehr zu retten«, beruhige ich sie.
»Du solltest alles etwas ernster nehmen. Du hast schließlich nur ein Leben.«
»Ja, ich weiß. Und so scheiße wie das ist, will ich auch gar kein Zweites haben.« Ich ziehe an der Zigarette und huste laut vor mich hin, während wir weiter gehen.
»Wo wohnt dieser Zeuge eigentlich?«
»Zeugin.«
»Okay, wo wohnt diese Zeugin eigentlich? Ist es noch weit? Ich habe Durst. Vielleicht sollten wir nen kurzen Abstecher in eine Kneipe machen.«
»Es ist nicht mehr weit. Sie wohnt im Wald vor der Stadt.«
»Im Wald? Was für eine Bekloppte wohnt denn im Wald? Ich dachte immer da wohnen nur Rehe und verwirrte Drogenopfer.«
»Sie mag vielleicht das Stadtleben nicht.«
»Mag ich auch nicht, aber deshalb zieh ich doch nicht direkt ins dichteste Gestrüpp, das die Umgebung zu bieten hat.«
»Wo würdest du denn gerne wohnen, wenn es dir hier nicht gefällt?«
»In einem Dorf auf dem Land. Da wo ich aufgewachsen bin. Das Stadtleben ist mir zu hektisch und die Leute hier sind alle Arschlöcher. Noch nicht mal grüßen tun die hier.« Ich gehe auf einen Passanten zu, der uns entgegen kommt. »Guten Tag«, begrüße ich ihn. Der Passant sieht mich komisch an, als wäre ich ein entlaufener Massenmörder und geht weiter. »Dann verpiss dich halt du Arsch!«, rufe ich ihm hinterher. Er dreht sich nicht mal um. »Unfreundliche Sackgesichter hier.«
»Du bist auch nicht der netteste Mensch im Moment«, stellt Fey ihre Eindrücke von mir fest.
»Ich weiß. Die Stadt hat mich auch versaut. Vielleicht geht es mir gleich besser, wenn wir in dem Kackwald sind.«
Der Wald ist ein Dickicht von dem man nicht mal annehmen sollte, dass so etwas so nahe an einer Stadt überhaupt noch existiert. Im Normalfall hätten wir inmitten einer Ansammlung von Reihenhäusern gestanden, aber offenbar hat man die Besiedlungsmöglichkeiten dieses Stücks unberührter Natur noch nicht erkannt. Oder der Bulldozer, der die Bäume wegreißen soll, ist kaputt.
Ich halte die Verfluchungen des matschigen Bodens zurück, während ich mich darauf konzentriere nicht auf die Fresse zu fallen. Fey scheint der rutschige, unebene Untergrund nichts auszumachen. Sie springt wie ein junges Reh über die Wurzeln und Äste hinweg, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
»Bist du nebenbei noch Försterin, oder sowas?«
»Warum?«
»Du scheinst in der offenen Natur gut zurecht zukommen.«
»Bevor ich in die Stadt kam, habe ich sehr viel Zeit in der Natur verbracht.«
»Bist du ein Hippie?«
Sie sieht mich fragend an.
»Vergiss es.« Ich stolpere weiter. »Da vorne ist eine Hütte. Wohnt da die Zeugin?«
Ich zeige auf eine heruntergekommene Bruchbude, die aussieht als wurde sie von einem Einarmigen zusammengezimmert, der seinen Hammer verlegt und als Ersatz einen Baseballschläger genutzt hat. Die Bretter der Hütte sind kreuz und quer aneinander genagelt. Die dreieckigen Fenster eingeschlagen. Rauch steigt aus einem rostigen Rohr auf dem löchrigen Dach auf.
»Fey«, sage ich, »ich glaube nicht, dass diese Zeugin in irgendeiner Art und Weise hilfreich oder auch nur ansatzweise zurechnungsfähig ist. Hältst du es wirklich für eine gute Idee, da rein zu gehen?«
»Was kann schon passieren?«
»Nun ja, ein Windstoß könnte die wackelige Bruchbude umblasen während wir drin sind.«
»Wir bleiben ja nicht lange. Komm schon.«
Wir bleiben nicht lange heißt in meiner Welt: Wir kommen erst nach qualvoll langen und langweiligen Stunden wieder aus der Hütte raus. Ich seufze und stelle mich auf einen langen Tag ein, als ich Fey sanft durch die Tür in die Hütte schiebe. Sie dreht den Kopf und lächelt. Scheinbar habe ich mal etwas richtig gemacht. Muss ich es wohl später mit ihr versauen, wie ich es immer tue.
Das Innere der Hütte passt zum Äußeren. Mit dem Unterschied, dass hier zusätzlich zu den willkürlich vernagelten Brettern ein Haufen Möbel genau so willkürlich in den Räumen verteilt steht. Normale Leute richten ihre Möbel nach etwas aus. Dem Fernseher. Dem Fenster. Von mir aus einem Bild an der Wand. Hier passt nichts zusammen. Jeder wackelige Stuhl, jeder verstaubte Sessel, jedes zerrissene Sofa bietet eine hervorragende Gelegenheit, die gammelige Wand anzustarren.
Jemand betritt den Raum und sieht uns wenig überrascht an.
»Da seid ihr ja endlich«, sagt die Gefiederte aus der Fußgängerzone, die den Untergang der Menschheit prophezeit hat.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 4

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #2

Zu Teil 1

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Selbst wenn man niemals Besuch kriegt, kann man sich auf eine Sache ganz sicher verlassen: Wenn eine Leiche im Wohnzimmer liegt, kommt jemand vorbei.
Hinter der Tür steht Fey. Eine junge Frau, die vor wenigen Tagen in die Wohnung gegenüber eingezogen ist. Unsere Bekanntschaft beschränkt sich auf ein Aufeinanderprallen im Treppenhaus, bei der ich ihr auf den Fuß getreten bin. Sicher, dass sie mich für immer hassen wird, verschwand ich in meiner Wohnung und sah ihr durch den Türspion zu, bei dem mehrminütigen Versuch, ihre Wohnungstür aufzuschließen. Nach etwas Gefluche, das wohl nicht nur der Tür galt, sondern auch dem schmerzenden Fuß und dem Vollidioten, der gegenüber wohnt, gelang es ihr, in ihre Wohnung zu humpeln.
Um so überraschter bin ich, sie jetzt vor mir zu sehen. Ich stelle mich auf eine wütende Rede, oder eine Ohrfeige ein. Zu meiner Überraschung bleiben die vermuteten Aggressionen aus. Sie lächelt mich an. Ein Strahlen geht von ihr aus. Ich schiele an ihr vorbei zu dem Fenster im Flur, um zu kontrollieren, ob sie von der Sonne angestrahlt wird und deshalb zu glänzen scheint. Draußen hängen schwarze Wolken am Himmel und lassen kaum Licht durch. Ich schaue sie fragend an.
»Du fragst dich sicher, warum ich hier bin«, sagt sie.
»Auch«, antworte ich wahrheitsgemäß und suche weiter nach der Quelle des Schimmerns.
»Ich kenne niemanden hier«, sagt sie.
Ich verzichte auf weitere Untersuchungen der Erhellung und konzentriere mich darauf, ihr zuzuhören, da mir schon bei ihrem zweiten Satz droht, dass ich den Faden verliere.
»Hm«, sage ich, da mir gerade nichts besseres einfällt. Ich fühle mich direkt wie ein Trottel. So ist es immer, wenn ich mich mit hübschen Mädchen unterhalte. Mein Gehirn schaltet sich plötzlich ab und ich stammel vor mich hin, auf der Suche nach einem intelligenten Satz. Mir fiel bis heute nie einer ein, egal wie lange das Gespräch gedauert hat.
Sie starrt mich an und denkt bestimmt daran, schnell wieder zu gehen und mit jemandem zu reden, der kein Idiot ist. In völliger Verzweiflung bitte ich sie herein. In die Wohnung mit der Leiche auf dem Teppich, die ich für einen Moment komplett vergessen habe. Mein Gehirn hat beim Abschalten ganze Arbeit geleistet. Sie lehnt das Angebot glücklicherweise ab und erzählt mir, dass sie Reporterin ist und später einen Zeugen in einer interessanten Story, an der sie gerade arbeitet, aufsuchen will. Sie sucht jemanden, der sie zum Schutz begleitet. Und da sie niemanden sonst hier kennt, fragt sie mich.
Mich auf meine Ehre als Beschützer aller Frauen berufend, sage ich zu. Um genau zu sein, sage ich nur zu, weil sie ein hübsches, nettes Mädchen ist, aber etwas Ehre ist vielleicht trotzdem unterbewusst im Spiel.
Sie geht zurück in ihre Wohnung. Das Strahlen verschwindet mit ihr. Ich sehe mich noch mal im Flur um, dann schüttele ich den Kopf und denke nicht weiter darüber nach. Manche Dinge überfordern meinen Verstand einfach, also warum Zeit damit verschwenden.
Ich gehe zurück in meine Bruchbude. Wie das Strahlen im Flur, ist auch die Leiche im Wohnzimmer verschwunden. Nur ein roter Fleck auf dem Teppich ist zurückgeblieben. Ich suche die Wohnung ab. Nick ist nicht auffindbar. Und auch kein Teppichreiniger.

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Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #1

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Hätten Walter, der Typ den man immer in diesen Kinderbüchern suchen musste und die böse Hexe aus dem Westen ein Kind gezeugt, wäre wohl so etwas wie Nick dabei herausgekommen. Seine fettigen Locken hängen unter der roten Mütze hervor, die er auf dem bleichen Kopf trägt. Immerhin verdecken die Haare teilweise seine grünen Zähne, die schief in seinem Mund stehen wie ein verfaulter Lattenzaun. Seine Anwesenheit auf der Party scheint er größtenteils zu nutzen, um die jungen, weiblichen Gäste anzugaffen. Wer mich kennt weiß, dass mich ein äußeres Erscheinungsbild nicht davon abhält mich mit jemandem zu unterhalten, egal wie vergammelt die Person aussehen mag. Immerhin scheint er der interessanteste Gast auf der lahmen Party zu sein, von der ich mich seit meiner Ankunft frage, warum ich überhaupt hingegangen bin. Ich sollte zu Hause sitzen und mich um meinen Blog kümmern. Seit Tagen denke ich darüber nach, was man eigentlich in seinem ersten Blogpost schreibt. Ein Dilemma, über das ich mir zuvor keine Gedanken gemacht habe. Aber kaum ist der Blog fertig, steht man vor dem nächsten Problem. Da soll mal einer sagen, als selbsternannter Schriftsteller hätte man es leicht. Sich mit der einzigen Person zu unterhalten, die genau so deplatziert wirkt wie ich, scheint mir eine gute Idee zu sein. Nach einigem Zögern fängt er an etwas von sich zu erzählen. Die Erklärung für seine Hautfarbe bleibt er mir schuldig, aber ich schiebe es einfach auf den widerlichen Champagner, der literweise ausgeschenkt wird. Seit einiger Zeit lebt er in der Stadt. Unter einer Brücke. Ich weiß nicht, ob er vom dreckigen Fluss angespült wurde. Jedenfalls sieht er so aus. Berauscht von dem ekelhaften Champagner lade ich ihn zu mir nach Hause ein, wo ich noch schmackhaftes Bier gelagert habe, das in keinem guten Haushalt fehlen darf. Wie jede Idee, die man in betrunkenem Zustand hat, stellt sich auch diese als ein großer Fehler heraus.

Ich erwache wie gewöhnlich auf dem Sofa. Oder daneben. Nach einer durchzechten Nacht kann man da nie so ganz sicher sein, da das Gehirn erst mal etwas Anlauf braucht, um zu registrieren, wo man sich befindet. Die Umgebung gleicht meiner Wohnung. Aber der Ort an dem ich mich befinde ist zu sauber, um meine Wohnung zu sein. Nur die Möbel stehen noch da, wo sie hingehören. Nick betritt den Raum und blickt mich mit seinen trüben Augen über einen Wäscheberg hinweg an, den er auf den Armen balanciert.
»Wie kann man nur in so einer unordentlichen Umgebung leben?«
»Wenn ich mich recht erinnere wohnst du unter einer Brücke. Wie ordentlich kann es da schon sein?«
»Wo soll die Wäsche hin?«
»Keine Ahnung. Häng sie aus dem Fenster. Da ist sie an der frischen Luft.«
»Hast du keine Waschmaschine?«
Ich seufze und stehe auf, um ins Badezimmer zu gehen. Nick guckt mir beim Pissen zu. Ich hasse das. Ich bin nicht gut genug bestückt, um damit rumzuprahlen und jeden darauf hinzuweisen, was ich in der Hose habe. Nick verliert eine Hose vom Wäschestapel. Ich lasse die Badewanne voll Wasser laufen und schütte etwas Shampoo hinterher. Ich nehme ihm den Wäschestapel ab und werfe die dreckigen Sachen in die Wanne. Auch die Hose.
»So wäschst du deine Wäsche?«, fragt Nick empört. Er beginnt, mir auf die Nerven zu gehen.
»Nein«, sage ich, »wo wäschst du deine Wäsche? Im versifften Fluss unter der Brücke?«
Er sieht mich verärgert an. »Nein, das würde ich nie machen.« Er verschwindet in einem anderen Zimmer. Geräusche von klirrendem Geschirr und zerknülltem Papier auf dem Boden sagen mir, dass er die Küche gefunden hat.
»Wieso liegen überall zerknüllte und zerrissene Zettel in der Küche?«
»Sag mal«, ich setze mich und zünde mir eine Zigarette an, die ich zufällig gefunden habe, »hast du auch Hobbys, die nicht beinhalten, dass du mich alle dreißig Sekunden nervst?«
»Ich will doch nur helfen.«
»Ich erkläre dir mal kurz was«, sage ich, ziehe an der Zigarette und huste einige Sekunden lang vor mich hin, »ich wohne hier in einem perfekt organisierten, chaotischem System. Auf Außenstehende mag es nicht so wirken, aber ich weiß immer ganz genau, wo alles ist. Und du bringst dieses System gerade durcheinander.« Er sieht mich ungläubig an. »Außerdem hältst du mich von der Arbeit ab.«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich bin Autor. Schriftsteller. Geschichtenschreiber. Wie auch immer du es nennen willst.«
»Wirklich?«
»Naja, zumindest bezeichne ich mich so.«
»Und davon kannst du leben?«
»Bisher nicht.«
»Warum machst du dann nicht was richtiges?«
»Weil es für mich scheinbar nichts gibt. Mein ganzes Leben lang, hat mir nie jemand eine Chance gegeben. Ich stand schon immer als Verlierer mit leeren Händen da, bevor ich überhaupt die Möglichkeit auf einen Sieg hatte. Und da mir offensichtlich niemand helfen will, nehme ich es jetzt selbst in die Hand. Und wenn es nichts wird, bin ich wahrscheinlich bald dein Nachbar unter der Brücke.«
Er sieht mich verwirrt an. »Das glaube ich nicht.« Er schaut die aufgestapelten Schreibratgeber vor mir an. »Lass mich wenigstens noch diese Bücher ins Regal stellen.« Er nimmt einen Stapel Bücher vom Tisch und blickt sich nach einem Regal um. Es gibt kein Regal. Er legt die Bücher wieder weg. »Ich baue dir schnell ein Regal. Hast du Bretter da? Und ein paar Schrauben? Und eine Bohrmaschine wäre hilfreich. Oh und eine Wasserwaage. Und vielleicht hast du sogar …«
Ich erschlage ihn mit dem dicksten Schreibratgeber, den der Bücherstapel zu bieten hat.
Ich lege den Schreibratgeber weg und drücke die Zigarette aus. Während ich noch überlege, wie man am besten eine Leiche verschwinden lässt, klopft es an der Tür.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 2