Der Zirkus ist in der Stadt. Das würde mich absolut nicht interessieren, wenn ich nicht gerade auf einem Stuhl in der Zirkusmanege aufwachen würde. Umstellt von Löwen und einem Type, der aussieht als bestünde er komplett aus Schuppenflechte, der gerade Flammen spuckt. Er sieht mich an und legt die Fackel in seiner Hand auf den sandigen Boden.
»Du bist wach«, stellt er richtig fest und bläst schwarzen Rauch aus seinen großen Nasenlöchern.
Ich überlege, ob ich so tun soll, als wäre ich direkt wieder eingeschlafen, aber verwerfe den Gedanken So leicht sind Zirkusfreaks wahrscheinlich nicht zu täuschen. Der Flammenschlucker kommt auf mich zu und schlägt mir ohne Vorwarnung in die Fresse.
»Das ist dafür, dass ich in deiner Bruchbude auf einer Bananenschale ausgerutscht bin«, erklärt er seine Tat.
Ich spucke etwas Blut aus. Ich esse überhaupt keine Bananen, denke ich.
Ein übergewichtiges Wesen, das ein Mensch sein könnte, stampft durch den Sand und schickt den Feuerschlucker weg.
»Ich muss mich entschuldigen«, sagt er, »Drago kann etwas temperamentvoll werden.«
»Er sollte mal seine Haut behandeln lassen. Die ist rauer als Schmiergelpapier.« Ich versuche, die Schmerzen im Gesicht zu ignorieren und frage, was der Zirkus von mir will.
Der fette Kerl im Anzug stellt sich als der Direktor vor und hält mir eine zerfurchte Hand hin.
»Wohl mit einem Schnitzel in der Hand zu nah am Löwenkäfig gestanden«, sage ich und nehme den Handschlag an. Der Direktor findet meinen Kommentar anscheinend weniger lustig und zerquetscht mir fast die Hand.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, sagt er. Eine unnötige Bemerkung, nachdem einem schon in die Schnauze geschlagen wurde. »Es geht uns nicht um dich. Wir sind hinter einer Person her, die du kürzlich kennen gelernt hast.«
Ich schätze, er meint Fey. Ergibt Sinn. Wenn ein schönes Mädchen Interesse an mir zeigt, muss etwas falsch mit ihr sein. Wahrscheinlich gehört sie zu diesen Zirkusfreaks und ist eigentlich die bärtige Lady von diesem Verein. Rasiert sieht sie aber echt hübsch aus, das muss man ihr lassen. Während ich darüber nachdenke, wie es wohl ist, wenn man einen Rasierer mit einer Frau teilen muss, redet der Direktor weiter. »Ich habe gehofft, du könntest mir vielleicht helfen, die Person ausfindig zu machen.«
»Was wollt ihr denn von ihr?«
»Nun, sagen wir, wir haben noch eine Rechnung offen.«
Klar, sie hat ihm bestimmt die Zirkuskasse geklaut und sich aus dem Staub gemacht. Ich würde auch nicht bei diesen Freaks bleiben wollen, egal wie ungewöhnlich stark mein Haarwuchs sein mag.
»Hör zu«, sage ich und sehe in seinem Blick bereits, dass ihm meine Antwort nicht gefallen wird, »ich kenne Fey erst seit Kurzem, aber bisher war sie nett zu mir. Warum sollte ich sie euch also ausliefern?«
Der Blick des Direktors wandelt sich von purer Bösartigkeit zu völliger Ahnungslosigkeit. »Fey?«
Ich gucke noch doofer als er und weiß gar nicht mehr, worum es hier geht.
»Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, sagt der Direktor. »Ich bin auf der Suche nach Nick. Mir kam zu Ohren, dass du ihn kennst und vielleicht weißt, wo er sich aufhällt.«
»Nick? Den Brückenpenner? Klar, den könnt ihr gerne haben. Als ich ihn zuletzt sah, lag er tot auf meinem Teppich.« Der Blick des Direktors verrät mir, dass er mir nicht ganz folgen kann, also füge ich hinzu: »Zumndest dachte ich das. Aber nachdem ich mich nur mal eine Sekunde umgedreht habe, war die Leiche verschwunden.«
»Glaub mir, Nick ist nicht tot.« Er klingt, als sei er sich seiner Sache so sicher, wie nie zuvor. »Du weißt nicht zufällig, wo ich ihn finden kann?«
»Alles was ich weiß ist, dass er unter einer Brücke lebt. Wie viele Brücken kann die Stadt schon haben?«
Das fette Gesicht des Direktors hellt auf, wodurch die Furchen auf seiner Stirn sich etwas zurückziehen. »Danke. Du hast mir sehr geholfen. Du weißt ja: Der Fluss ist lang.«
»Kein Problem«, sage ich, versuche meine Verwirrung über den letzten Kommentar zu verbergen und stehe auf »Kann ich dann gehen? Ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern, die nichts mit Brücken und Obdachlosen zu tun haben.«