Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #11

Zu Teil 10

Ich schaue Fey an. Sie scheint sich so unsicher wie ich zu sein, ob wir wirklich hier im Zirkuszelt stehen sollten, während ein Dompteur eine Horde Tiger durch brennende Reifen springen lässt.

Der Zirkusdirektor und die Rauhaut an seiner Seite kommen mit einigen Büchern angelatscht.

»Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, erkennt der Direktor richtig und ist dabei, diesen Umstand zu ändern. »Mein Name ist Rullon. Ich leite diese Manege.«

Er verzichtet darauf, uns einen Händedruck anzubieten, was ihn für mich zumindest ein kleines Stück sympathischer macht. Dieses ständige Fettfingergewurschtel, wenn man jemanden kennen lernt, ging mir schon immer gegen den Strich. Wer weiß, wie oft sich die neue Bekanntschaft gerade am Arsch rumgefummelt hat, kurz bevor er mir seine versiffte Hand hin hält.

»Ich habe erfahren, dass du, liebe Fey, im Entführungsfall recherchierst und ich denke, dass ich äußerst behilflich sein kann.«

»Warum sollte ich dir trauen, Mantikor?« Fey scheint ihn zu kennen. Und nicht zu mögen.

»Liebe Fey, wir sind sicher nicht immer einer Meinung, aber in diesem Fall können wir uns gegenseitig behilflich sein. Betrachte es als eine geschäftliche Vereinbarung.«

»Du weißt genau, dass ich keine Geschäfte mit Leuten wie dir mache. Auch eine Fee hat ihren Stolz.«

»Fey. Es ist ganz einfach.« Rullon schnippt mit den Fingern und der Handlanger haut mir mal wieder eine rein, wobei mir seine Schmiergelpapierhaut die Bartstoppeln von der Wange schleift. »Entweder du hilfst mir, oder dein Freund hier stirbt. Und das ist sicher nicht in deinem Interesse.«

»Das kannst du nicht machen.« Fey ist zum ersten Mal, seit ich sie kenne, nicht die Ruhe in Person. Beunruhigend. »Ich brauche ihn. Wir brauchen ihn.«

»Ich gebe nichts auf die Menschen und das Schicksal und den ganzen Quatsch. Das weißt du genau.«

Ich spucke etwas Blut in den Sand. »Ich übrigens auch nicht«, sage ich und kriege dafür direkt noch eine geschallert. Immerhin auf der anderen Seite des Gesichts, wodurch mein Bartwuchs wieder ausgeglichen sein dürfte. »Vielleicht können wir uns einig werden«, sage ich und versuche mir die Schmerzen in der Visage nicht anmerken zu lassen.

»Vernünftige Entscheidung, mein Freund«, sagt der Direktor und holt ein Buch hervor. Er setzt sich auf einen Hocker, auf dem vor wenigen Minuten noch ein Tiger gesessen hat. »Wie ihr euch sicher schon gedacht habt, geht es um Nick. Nun, ich möchte euch etwas über ihn erzählen.«

Wir setzen uns hin. Nicht weil wir nicht mehr stehen können, sondern weil der Direktor mit einer Handbewegung klar macht, dass stehen bleiben keine Option ist. Seine dicken Finger greifen in die Brusttasche seines hässlichen Jacketts, aus dem er zu platzen droht. Er holt eine Brille hervor deren Bügel sich auseinander dehnen, als er sie über seinen kantigen Schädel schiebt.

»Dieses Buch wurde mir und meinem Bruder geschenkt, als wir Kinder waren.« Er klopft mit der Hand auf den Buchdeckel. »Und die Geschichte darin sorgte immer für, sagen wir, Auseinandersetzungen zwischen ihm und mir.

Wir gehören zu den Wächtern. Ich habe mich schnell damit abgefunden, dass es meine Bestimmung ist, dafür zu sorgen, dass die Welt im Gleichgewicht bleibt. Dass alles seinen geregelten Gang geht. Die Welt und ihre Bewohner zu beschützen ist meine Aufgabe. Und ich nehme diese Aufgabe ernst.« Er schaut Fey an. »Du weißt, dass ich keine Zurückhaltung kenne, wenn es darum geht, meine Aufgabe zu erfüllen.«

»Du wolltest hunderte Unschuldiger töten.«

»Das war notwendig. Sie stellten eine Gefahr dar.«

»Du weißt genau so gut wie ich, dass das nicht wahr ist. Die meisten haben überlebt und die Welt existiert weiterhin.«

»Dann wurden wohl genau die richtigen ins Jenseits befördert.«

»Dir ist wirklich alles recht, um deine Ziele umzusetzen, nicht wahr?«

»Meine liebe Fey, es geht hier nicht um mich. Oder dich. Oder ihn.« Er hebt nicht mal einen Finger, um auf mich zu zeigen. Vermutlich hat er mich schon abgeschrieben. Er könnte recht haben. »Es geht um das Wohle aller. Und dafür ist mir jedes Mittel recht.« Er sieht Fey an, als wollte er ihr den Kopf abbeißen. »Und dir sollte das egal sein. Du weißt, was beim letzten Mal passiert ist, als mir jemand in die Quere kam.«

»Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihr euch schon länger kennt«, sage ich und kriege als Antwort eine Reibeisenfaust an den Kopf.

»Aber heute, liebe Fey, können wir uns gegenseitig helfen.«

»Warum sollte ich dir helfen?«

»Weil wir den gleichen Feind haben.«

»Wen?«

»Meinen Bruder. Nick.«

»Nick ist dein Bruder? Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich.« Die Faust schmiergelt mir die Barthaare über die Wange. »Lass mich raten: Du bist adoptiert.«

Rullon hebt die Hand und verhindert so, dass mein Gesicht weiter geschmiergelt wird. »Diese ganze Sache ist viel komplexer, als du dir vorstellen kannst. Die liebe Fey hier hat dir sicher nicht alles erzählt.« Er schaut Fey an. »Ahnte ich doch. Siehst du, es gibt Regeln denen wir alle unterliegen. Für jeden gelten besondere Gesetzmäßigkeiten, an die er sich zu halten hat. Die liebe Fey beispielsweise darf dir nicht alles verraten, was du wissen musst, wenn du es nicht ausdrücklich wünschst. Sie ist eine Fee und kann dir somit zwar jeden Wunsch erfüllen, aber du musst wissen, was du wissen willst. Eine verzwickte Situation, wenn du mich fragst. Ich andererseits könnte dir alles erzählen. Aber ich habe kein Interesse daran, hier den Märchenonkel zu spielen, deshalb beschränke ich mich auf das für mich relevante.

Was ich nicht kann, ist meinen Bruder aufzuspüren und unschädlich zu machen.« Er sucht nach einer bestimmten Seite in dem Buch und hält uns ein Bild vor die Nasen. »Auf diesem Bild seht ihr die Wächter der alten Zeit. Unsere Vorfahren, wenn man es so nennen will. Zu jeder Zeit muss es genügend Wächter geben. Wenn ein Wächter abtritt, muss er durch einen neuen Wächter ersetzt werden. Diese Wächter werden schon in der Kindheit vom Schicksal bestimmt. Ich bin ein Wächter. Mein Bruder ist ein Wächter. Der Drache mit der schuppigen Haut, der dir so gerne ins Gesicht schlägt, wenn du mal wieder etwas dummes gesagt hast, ist ebenfalls ein Wächter. Und auch die liebe Fey hier ist eine Wächterin. Wir alle haben eine Aufgabe. Wir alle wachen über etwas. Die Fee wacht über die Wahrheit. Der Drache wacht über das Feuer. Der Nix wacht über das Wasser. Und so weiter.« Er legt das Buch auf seine Handfläche und balanciert es in der Luft. »Es existiert eine Art Gleichgewicht in der Welt. Wir sorgen dafür, dass dieses Gleichgewicht bestehen bleibt. Wird das Gleichgewicht zu sehr gestört …« Er lässt das Buch fallen. »… wäre das nicht gut. Nick ist dabei, dieses Gleichgewicht zu stören. Er ist von seinem Pfad abgekommen. Und deshalb müsst ihr ihn unschädlich machen.«

»Hör mal, ich bin kein Mörder. Auch wenn ich Nick schon einmal erschlagen habe. Ihr sucht euch also besser jemand anderen.«

»Oh, ihr müsst ihn nicht töten. Ihr sollt ihn nicht töten. Ihr müsst ihn nur aus dem Verkehr ziehen. Leider gibt es niemand anderen. Nick hat sich dir anvertraut. Du bist der Einzige, der ihn aufspüren kann.«

»Und warum sollten wir das tun?« Fey ist noch weniger überzeugt von der Idee als ich.

»Weil er der Mörder ist, den ihr schon die ganze Zeit sucht.«

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 12

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #3

Zu Teil 2

Suche nach Blogpost

Ich sollte die Zeit nutzen um am Blog zu arbeiten, oder etwas brauchbares zu Papier zu bringen. Stattdessen tue ich das, was ich am besten kann und surfe ziellos im Internet, das ich bei einem Nachbarn anzapfe ohne das er davon wüsste – oder es stört ihn einfach nicht. Ich stoße auf einen Artikel über Entführungen hier in der Stadt. Von einer Serie ist die Rede. Erst vor wenigen Tagen gab es ein neues Opfer. Die Verschwundenen sind nie wieder aufgetaucht. Ich hatte am Rande davon gehört, aber ich befasse mich nicht mit so etwas. Es passiert zu viel Scheiße auf der Welt. Wenn man das an sich ran lässt, kann man sich nur noch die Kugel geben. Und ich kann mir keine Kugel leisten.
Fey löst mich mit einem Klopfen an der Tür aus dem Wirrwarr von Informationen die mich im Leben kein Stück weiter bringen werden und wir brechen auf um den Zeugen zu befragen.
Wenn jemand neu in einem Ort ist kann man davon ausgehen, dass er sich wie ein Tourist verhält.
Fey bestaunt die Fußgängerzone als hätte sie noch nie Kopfsteinpflaster voller Taubenscheiße gesehen.
»Wirklich beeindruckend.«
»Was?«
»Was die Menschen in der Lage sind zu erschaffen.«
»Menschen sind in erster Linie in der Lage alles zu zerstören, was von anderen geschaffen wurde. Eigentlich sind sie mit nichts anderem beschäftigt.«
»Wo ich herkomme gibt es sowas imposantes nicht.«
Mich beschleicht das Gefühl, dass sie für eine Reporterin wenig rumgekommen ist.
»Die Welt ist im Wandel!« Auf einer Kiste steht eine schöne Frau, gehüllt in eine Federboa, und wedelt wild mit den Armen. Sie zeigt auf die vorbeilaufenden Passanten und erzählt ihnen was die Zukunft ihrer Meinung nach für diese bereit hält. Es ist eine Aneinanderreihung von Tragödien.
»Ich schätze die Population der Stadt nimmt bald rapide ab«, sage ich und verdrehe die Augen.
»Du wirst große Qualen erleiden«, ruft die Frau und deutet mit dem schwarz lackierten Fingernagel ihres krummen Zeigefingers auf mich.
»Ich glaube nicht an das Schicksal«, sage ich.
»Aber das Schicksal glaubt an dich.«
»Gut. Wenigstens etwas, das an mich glaubt.« Ich zünde mir eine Zigarette an.
»Das ist nicht gut für dich.« Feys Besorgnis scheint echt zu sein.
»Wenn ich der komischen Tussi da glauben darf bin ich sowieso nicht mehr zu retten«, beruhige ich sie.
»Du solltest alles etwas ernster nehmen. Du hast schließlich nur ein Leben.«
»Ja, ich weiß. Und so scheiße wie das ist, will ich auch gar kein Zweites haben.« Ich ziehe an der Zigarette und huste laut vor mich hin, während wir weiter gehen.
»Wo wohnt dieser Zeuge eigentlich?«
»Zeugin.«
»Okay, wo wohnt diese Zeugin eigentlich? Ist es noch weit? Ich habe Durst. Vielleicht sollten wir nen kurzen Abstecher in eine Kneipe machen.«
»Es ist nicht mehr weit. Sie wohnt im Wald vor der Stadt.«
»Im Wald? Was für eine Bekloppte wohnt denn im Wald? Ich dachte immer da wohnen nur Rehe und verwirrte Drogenopfer.«
»Sie mag vielleicht das Stadtleben nicht.«
»Mag ich auch nicht, aber deshalb zieh ich doch nicht direkt ins dichteste Gestrüpp, das die Umgebung zu bieten hat.«
»Wo würdest du denn gerne wohnen, wenn es dir hier nicht gefällt?«
»In einem Dorf auf dem Land. Da wo ich aufgewachsen bin. Das Stadtleben ist mir zu hektisch und die Leute hier sind alle Arschlöcher. Noch nicht mal grüßen tun die hier.« Ich gehe auf einen Passanten zu, der uns entgegen kommt. »Guten Tag«, begrüße ich ihn. Der Passant sieht mich komisch an, als wäre ich ein entlaufener Massenmörder und geht weiter. »Dann verpiss dich halt du Arsch!«, rufe ich ihm hinterher. Er dreht sich nicht mal um. »Unfreundliche Sackgesichter hier.«
»Du bist auch nicht der netteste Mensch im Moment«, stellt Fey ihre Eindrücke von mir fest.
»Ich weiß. Die Stadt hat mich auch versaut. Vielleicht geht es mir gleich besser, wenn wir in dem Kackwald sind.«
Der Wald ist ein Dickicht von dem man nicht mal annehmen sollte, dass so etwas so nahe an einer Stadt überhaupt noch existiert. Im Normalfall hätten wir inmitten einer Ansammlung von Reihenhäusern gestanden, aber offenbar hat man die Besiedlungsmöglichkeiten dieses Stücks unberührter Natur noch nicht erkannt. Oder der Bulldozer, der die Bäume wegreißen soll, ist kaputt.
Ich halte die Verfluchungen des matschigen Bodens zurück, während ich mich darauf konzentriere nicht auf die Fresse zu fallen. Fey scheint der rutschige, unebene Untergrund nichts auszumachen. Sie springt wie ein junges Reh über die Wurzeln und Äste hinweg, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
»Bist du nebenbei noch Försterin, oder sowas?«
»Warum?«
»Du scheinst in der offenen Natur gut zurecht zukommen.«
»Bevor ich in die Stadt kam, habe ich sehr viel Zeit in der Natur verbracht.«
»Bist du ein Hippie?«
Sie sieht mich fragend an.
»Vergiss es.« Ich stolpere weiter. »Da vorne ist eine Hütte. Wohnt da die Zeugin?«
Ich zeige auf eine heruntergekommene Bruchbude, die aussieht als wurde sie von einem Einarmigen zusammengezimmert, der seinen Hammer verlegt und als Ersatz einen Baseballschläger genutzt hat. Die Bretter der Hütte sind kreuz und quer aneinander genagelt. Die dreieckigen Fenster eingeschlagen. Rauch steigt aus einem rostigen Rohr auf dem löchrigen Dach auf.
»Fey«, sage ich, »ich glaube nicht, dass diese Zeugin in irgendeiner Art und Weise hilfreich oder auch nur ansatzweise zurechnungsfähig ist. Hältst du es wirklich für eine gute Idee, da rein zu gehen?«
»Was kann schon passieren?«
»Nun ja, ein Windstoß könnte die wackelige Bruchbude umblasen während wir drin sind.«
»Wir bleiben ja nicht lange. Komm schon.«
Wir bleiben nicht lange heißt in meiner Welt: Wir kommen erst nach qualvoll langen und langweiligen Stunden wieder aus der Hütte raus. Ich seufze und stelle mich auf einen langen Tag ein, als ich Fey sanft durch die Tür in die Hütte schiebe. Sie dreht den Kopf und lächelt. Scheinbar habe ich mal etwas richtig gemacht. Muss ich es wohl später mit ihr versauen, wie ich es immer tue.
Das Innere der Hütte passt zum Äußeren. Mit dem Unterschied, dass hier zusätzlich zu den willkürlich vernagelten Brettern ein Haufen Möbel genau so willkürlich in den Räumen verteilt steht. Normale Leute richten ihre Möbel nach etwas aus. Dem Fernseher. Dem Fenster. Von mir aus einem Bild an der Wand. Hier passt nichts zusammen. Jeder wackelige Stuhl, jeder verstaubte Sessel, jedes zerrissene Sofa bietet eine hervorragende Gelegenheit, die gammelige Wand anzustarren.
Jemand betritt den Raum und sieht uns wenig überrascht an.
»Da seid ihr ja endlich«, sagt die Gefiederte aus der Fußgängerzone, die den Untergang der Menschheit prophezeit hat.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 4

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #2

Zu Teil 1

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Selbst wenn man niemals Besuch kriegt, kann man sich auf eine Sache ganz sicher verlassen: Wenn eine Leiche im Wohnzimmer liegt, kommt jemand vorbei.
Hinter der Tür steht Fey. Eine junge Frau, die vor wenigen Tagen in die Wohnung gegenüber eingezogen ist. Unsere Bekanntschaft beschränkt sich auf ein Aufeinanderprallen im Treppenhaus, bei der ich ihr auf den Fuß getreten bin. Sicher, dass sie mich für immer hassen wird, verschwand ich in meiner Wohnung und sah ihr durch den Türspion zu, bei dem mehrminütigen Versuch, ihre Wohnungstür aufzuschließen. Nach etwas Gefluche, das wohl nicht nur der Tür galt, sondern auch dem schmerzenden Fuß und dem Vollidioten, der gegenüber wohnt, gelang es ihr, in ihre Wohnung zu humpeln.
Um so überraschter bin ich, sie jetzt vor mir zu sehen. Ich stelle mich auf eine wütende Rede, oder eine Ohrfeige ein. Zu meiner Überraschung bleiben die vermuteten Aggressionen aus. Sie lächelt mich an. Ein Strahlen geht von ihr aus. Ich schiele an ihr vorbei zu dem Fenster im Flur, um zu kontrollieren, ob sie von der Sonne angestrahlt wird und deshalb zu glänzen scheint. Draußen hängen schwarze Wolken am Himmel und lassen kaum Licht durch. Ich schaue sie fragend an.
»Du fragst dich sicher, warum ich hier bin«, sagt sie.
»Auch«, antworte ich wahrheitsgemäß und suche weiter nach der Quelle des Schimmerns.
»Ich kenne niemanden hier«, sagt sie.
Ich verzichte auf weitere Untersuchungen der Erhellung und konzentriere mich darauf, ihr zuzuhören, da mir schon bei ihrem zweiten Satz droht, dass ich den Faden verliere.
»Hm«, sage ich, da mir gerade nichts besseres einfällt. Ich fühle mich direkt wie ein Trottel. So ist es immer, wenn ich mich mit hübschen Mädchen unterhalte. Mein Gehirn schaltet sich plötzlich ab und ich stammel vor mich hin, auf der Suche nach einem intelligenten Satz. Mir fiel bis heute nie einer ein, egal wie lange das Gespräch gedauert hat.
Sie starrt mich an und denkt bestimmt daran, schnell wieder zu gehen und mit jemandem zu reden, der kein Idiot ist. In völliger Verzweiflung bitte ich sie herein. In die Wohnung mit der Leiche auf dem Teppich, die ich für einen Moment komplett vergessen habe. Mein Gehirn hat beim Abschalten ganze Arbeit geleistet. Sie lehnt das Angebot glücklicherweise ab und erzählt mir, dass sie Reporterin ist und später einen Zeugen in einer interessanten Story, an der sie gerade arbeitet, aufsuchen will. Sie sucht jemanden, der sie zum Schutz begleitet. Und da sie niemanden sonst hier kennt, fragt sie mich.
Mich auf meine Ehre als Beschützer aller Frauen berufend, sage ich zu. Um genau zu sein, sage ich nur zu, weil sie ein hübsches, nettes Mädchen ist, aber etwas Ehre ist vielleicht trotzdem unterbewusst im Spiel.
Sie geht zurück in ihre Wohnung. Das Strahlen verschwindet mit ihr. Ich sehe mich noch mal im Flur um, dann schüttele ich den Kopf und denke nicht weiter darüber nach. Manche Dinge überfordern meinen Verstand einfach, also warum Zeit damit verschwenden.
Ich gehe zurück in meine Bruchbude. Wie das Strahlen im Flur, ist auch die Leiche im Wohnzimmer verschwunden. Nur ein roter Fleck auf dem Teppich ist zurückgeblieben. Ich suche die Wohnung ab. Nick ist nicht auffindbar. Und auch kein Teppichreiniger.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 3

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #1

Suche nach Blogpost

 

Hätten Walter, der Typ den man immer in diesen Kinderbüchern suchen musste und die böse Hexe aus dem Westen ein Kind gezeugt, wäre wohl so etwas wie Nick dabei herausgekommen. Seine fettigen Locken hängen unter der roten Mütze hervor, die er auf dem bleichen Kopf trägt. Immerhin verdecken die Haare teilweise seine grünen Zähne, die schief in seinem Mund stehen wie ein verfaulter Lattenzaun. Seine Anwesenheit auf der Party scheint er größtenteils zu nutzen, um die jungen, weiblichen Gäste anzugaffen. Wer mich kennt weiß, dass mich ein äußeres Erscheinungsbild nicht davon abhält mich mit jemandem zu unterhalten, egal wie vergammelt die Person aussehen mag. Immerhin scheint er der interessanteste Gast auf der lahmen Party zu sein, von der ich mich seit meiner Ankunft frage, warum ich überhaupt hingegangen bin. Ich sollte zu Hause sitzen und mich um meinen Blog kümmern. Seit Tagen denke ich darüber nach, was man eigentlich in seinem ersten Blogpost schreibt. Ein Dilemma, über das ich mir zuvor keine Gedanken gemacht habe. Aber kaum ist der Blog fertig, steht man vor dem nächsten Problem. Da soll mal einer sagen, als selbsternannter Schriftsteller hätte man es leicht. Sich mit der einzigen Person zu unterhalten, die genau so deplatziert wirkt wie ich, scheint mir eine gute Idee zu sein. Nach einigem Zögern fängt er an etwas von sich zu erzählen. Die Erklärung für seine Hautfarbe bleibt er mir schuldig, aber ich schiebe es einfach auf den widerlichen Champagner, der literweise ausgeschenkt wird. Seit einiger Zeit lebt er in der Stadt. Unter einer Brücke. Ich weiß nicht, ob er vom dreckigen Fluss angespült wurde. Jedenfalls sieht er so aus. Berauscht von dem ekelhaften Champagner lade ich ihn zu mir nach Hause ein, wo ich noch schmackhaftes Bier gelagert habe, das in keinem guten Haushalt fehlen darf. Wie jede Idee, die man in betrunkenem Zustand hat, stellt sich auch diese als ein großer Fehler heraus.

Ich erwache wie gewöhnlich auf dem Sofa. Oder daneben. Nach einer durchzechten Nacht kann man da nie so ganz sicher sein, da das Gehirn erst mal etwas Anlauf braucht, um zu registrieren, wo man sich befindet. Die Umgebung gleicht meiner Wohnung. Aber der Ort an dem ich mich befinde ist zu sauber, um meine Wohnung zu sein. Nur die Möbel stehen noch da, wo sie hingehören. Nick betritt den Raum und blickt mich mit seinen trüben Augen über einen Wäscheberg hinweg an, den er auf den Armen balanciert.
»Wie kann man nur in so einer unordentlichen Umgebung leben?«
»Wenn ich mich recht erinnere wohnst du unter einer Brücke. Wie ordentlich kann es da schon sein?«
»Wo soll die Wäsche hin?«
»Keine Ahnung. Häng sie aus dem Fenster. Da ist sie an der frischen Luft.«
»Hast du keine Waschmaschine?«
Ich seufze und stehe auf, um ins Badezimmer zu gehen. Nick guckt mir beim Pissen zu. Ich hasse das. Ich bin nicht gut genug bestückt, um damit rumzuprahlen und jeden darauf hinzuweisen, was ich in der Hose habe. Nick verliert eine Hose vom Wäschestapel. Ich lasse die Badewanne voll Wasser laufen und schütte etwas Shampoo hinterher. Ich nehme ihm den Wäschestapel ab und werfe die dreckigen Sachen in die Wanne. Auch die Hose.
»So wäschst du deine Wäsche?«, fragt Nick empört. Er beginnt, mir auf die Nerven zu gehen.
»Nein«, sage ich, »wo wäschst du deine Wäsche? Im versifften Fluss unter der Brücke?«
Er sieht mich verärgert an. »Nein, das würde ich nie machen.« Er verschwindet in einem anderen Zimmer. Geräusche von klirrendem Geschirr und zerknülltem Papier auf dem Boden sagen mir, dass er die Küche gefunden hat.
»Wieso liegen überall zerknüllte und zerrissene Zettel in der Küche?«
»Sag mal«, ich setze mich und zünde mir eine Zigarette an, die ich zufällig gefunden habe, »hast du auch Hobbys, die nicht beinhalten, dass du mich alle dreißig Sekunden nervst?«
»Ich will doch nur helfen.«
»Ich erkläre dir mal kurz was«, sage ich, ziehe an der Zigarette und huste einige Sekunden lang vor mich hin, »ich wohne hier in einem perfekt organisierten, chaotischem System. Auf Außenstehende mag es nicht so wirken, aber ich weiß immer ganz genau, wo alles ist. Und du bringst dieses System gerade durcheinander.« Er sieht mich ungläubig an. »Außerdem hältst du mich von der Arbeit ab.«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich bin Autor. Schriftsteller. Geschichtenschreiber. Wie auch immer du es nennen willst.«
»Wirklich?«
»Naja, zumindest bezeichne ich mich so.«
»Und davon kannst du leben?«
»Bisher nicht.«
»Warum machst du dann nicht was richtiges?«
»Weil es für mich scheinbar nichts gibt. Mein ganzes Leben lang, hat mir nie jemand eine Chance gegeben. Ich stand schon immer als Verlierer mit leeren Händen da, bevor ich überhaupt die Möglichkeit auf einen Sieg hatte. Und da mir offensichtlich niemand helfen will, nehme ich es jetzt selbst in die Hand. Und wenn es nichts wird, bin ich wahrscheinlich bald dein Nachbar unter der Brücke.«
Er sieht mich verwirrt an. »Das glaube ich nicht.« Er schaut die aufgestapelten Schreibratgeber vor mir an. »Lass mich wenigstens noch diese Bücher ins Regal stellen.« Er nimmt einen Stapel Bücher vom Tisch und blickt sich nach einem Regal um. Es gibt kein Regal. Er legt die Bücher wieder weg. »Ich baue dir schnell ein Regal. Hast du Bretter da? Und ein paar Schrauben? Und eine Bohrmaschine wäre hilfreich. Oh und eine Wasserwaage. Und vielleicht hast du sogar …«
Ich erschlage ihn mit dem dicksten Schreibratgeber, den der Bücherstapel zu bieten hat.
Ich lege den Schreibratgeber weg und drücke die Zigarette aus. Während ich noch überlege, wie man am besten eine Leiche verschwinden lässt, klopft es an der Tür.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 2