Livingon – Fire And Water

LIVINGON #3 – FIRE AND WATER – MAR 2020

 

Juana Garcia schlug das Fenster ihres Büros mit einem Stuhl ein. Hinter ihr breiteten sich die Flammen im Polizeirevier von Livingon aus. Nur ein Ausweg. Juana sprang aus dem Fenster.

Cordelia Cove hatte sich ihren ersten Tag bei der Feuerwehr ruhiger vorgestellt. Brände waren keine Seltenheit in Livingon, aber direkt an einem Großeinsatz im Polizeihauptquartier beteiligt zu sein, übertraf ihre Vorstellungen. Sie trank einen Schluck Kaffee und bestaunte das älteste Gebäude der Stadt. Wenn sie und ihre Kollegen das Feuer nicht in den Griff kriegen würden, bedeutet das das Ende des letzten Gebäudes im neogotischen Baustil, das die Modernisierung überstanden hatte.

»Cove, was dauert da so lange?« Feuerwehrausbilder Nathaniel Heading war nicht für seine Geduld bekannt. Das Feuer wartete schließlich auch nicht. »Der Brand löscht sich nicht von alleine.«

Cordelia stellte den Kaffebecher weg und rollte den Schlauch aus. Sie schloss ihn am Hydranten an. Wasser lief ihr in die Handschuhe. »Wasser marsch!«, rief sie und kam sich dämlich vor.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung in der Gasse hinter dem brennenden Gebäude. Cordelia schaute genauer hin. Aus einem eingeschlagenen Fenster quoll Rauch. Aus einem Müllcontainer unter dem Fenster kroch Juana Garcia. Sie lag auf den dreckigen Pflastersteinen und atmete durch.

»Alles in Ordnung?« Cordelia lief zu Juana.

»Mir geht es gut.« Juana stand auf.

»Wir sollten uns von dem Gebäude entfernen. Das Feuer breitet sich schnell aus.«

Cordelia glich einem Wasserspeier. Wasser lief ihr aus Mund und Nase. Sogar aus den Ohren kamen einige Tropfen. Panisch hielt sie sich die Hände vor den Mund.

»Was zur Hölle ist los mit dir?« Juana wich einen Schritt zurück.

Cordelia lief blau an.

»Du musst atmen. Konzentrier dich aufs Atmen.«

Cordelia fiel auf die Knie.

»Denk nicht über das Wasser nach. Denk an die Luft, die du atmen musst.«

»Zur Hölle damit.« Juana schlug Cordelia mit der Faust ins Gesicht.

Alison Conary joggte über die Laufstrecke der Polizeiakademie. Es war ihr zuvor nie aufgefallen, dass die Strecke nicht 400 Meter lang war, wie angegeben, sondern genau 399,42 Meter. Natürlich war es auch niemandem sonst aufgefallen. Solche Dinge fielen niemandem auf. Alisons Auffassungsgabe glich einem Raum mit unendlich dehnbaren Wänden, die von innen gegen ihre Schädeldecke drückten. Dann musste sie dieses Wissen herauslassen, um den Druck abzubauen. Sie vermutete, dass der Vorfall (siehe Ausgabe #1.1) etwas damit zu tun hatte. Sie schien alles zu verstehen und alles zu wissen. Nur, warum sie alles verstand und wusste, verstand und wusste sie nicht. Es war an der Zeit, an den Ort des Geschehens zurückzukehren.

Cordelia lag bewusstlos in einer Pfütze. Sie atmete. Aber wie lange noch? Begann die Wasserproduktion erneut, wenn sie aufwachte? Juanas Kenntnisse der biologischen Vorgänge in einem mutierenden Körper beschränkten sich auf die gerade erlebten Sekunden, die sie sich nicht erklären konnte.

Jemand fiel aus dem Fenster in den Müllcontainer. Ein Husten. Ein Polizist. Officer Stanley Broshanan. Er schaute den reglosen Körper Cordelias an.

»Was ist passiert?«

»Sonderbare Dinge.«

»Wie sonderbar?«

Juana erinnerte sich an ihn. Sie hatten mal einen Fall gemeinsam bearbeitet. Schon damals hatte er unbeantwortbare Fragen gestellt. »Sonderbar eben. Da gibt es keine Abstufungen.«

»Ich habe viele sonderbare Dinge gesehen und könnte dir auf einer Skala von eins bis zehn alles mögliche erzählen.«

»Auf welcher Skala ist eine Frau, der plötzlich Wasser unaufhörlich aus allen Körperöffnungen fließt?«

»Eine drei«, sagte er unbeeindruckt und untersuchte Cordelias Puls. »Sie ist nicht ertrunken. Das ist gut.« Er hob sie auf seine Schulter. »Komm mit. Ich kenne jemanden, der helfen kann.«

Polizeichef Clifton Blake und Detective Vincent Verity standen vor einem Lagerhaus im Hafen.

»Glauben Sie wirklich, jemand wie Clarence Statterstot würde sich in einem heruntergekommenen Lagerhaus verstecken?« Veritys Skepsis hatte ihm gute Dienste erwiesen. Er wies ein Talent dafür auf, die Gedankengänge von Verbrechern zu durchschauen und ihre Vorgehensweise zu verstehen. Hätten sie es mit einem simplen Taschendieb oder einem illegalen Walfänger zu tun gehabt, wäre ein Lagerhaus am Hafen ein valider Unterschlupf. Jemand wie Statterstot strebte höhere Ziele an und die begannen nicht mit dem Gestank von Fisch.

»Sicher nicht«, stimmte Blake zu. »Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass er die Adresse zufällig ausgewählt hat.« Er zog seine Waffe. »Wir sollten vorsichtig sein.«

Ein Rudel Hunde gefolgt von einem Vogelschwarm kamen vorbei.

»Was ist jetzt los?« Verity schaute den Tieren hinterher.

Daxton Scott mit grüner Haut und Lillian Gillan mit Fell liefen vorbei. Lillian blieb stehen. »Die Polizei. Gut. Wir haben da ein Problem.«

Miss Creston landete auf dem Dach des Lagerhauses und zog ihre Schwanenschwingen ein. Sie riss den Mund auf.

»Was ist das?« Blake schoss.

Animal Mother wand sich wie eine Schlange und wich den Geschossen aus. Ihre gelben Augen schienen zu glühen. »Dasssss war sssssehr unfreundlich. Die Ssssstrafe wird ssssschmerzhaft sein.«

Sie sprang vom Dach auf Blake zu.

Livingon – Investigations

LIVINGON #2 – INVESTIGATIONS – FEB 2020

 

Im Polizeihauptquartier von Livingon zitterte Polizeichef Clifton Blake hinter seinem Schreibtisch und ignorierte den Umstand, das die Heizung defekt war. Jemand klopfte an die Tür. Detective Vincent Verity wartete nicht auf eine Antwort und betrat das Büro in einen dicken Pelzmantel gehüllt. Er warf eine Akte auf den Schreibtisch.

»Clarence Statterstot«, begann er, »hat für die Polizei gearbeitet. Ein Statistiker wie er im Buche steht. Angeblich konnte er jede Kriminalstatistik auswendig im Detail vortragen. Eine echte Bereicherung.«

Blake las in der Akte. »Klingt bisher nicht kriminell. Eher im Gegenteil. Was ist geschehen?«

»Er drehte durch. Die Statistiken gefielen ihm nicht, also begann er selbst, Verbrechen zu begehen, um sie nach seinen Vorstellungen zu verändern.«

»Klingt völlig irre.«

»Aber erfolgreich. Er begann mit ein paar Einbrüchen und steigerte sich bis hin zum Mord.«

Blake legte die Akte weg. »Und das?« Er zeigte hinter sich, wo ein Fenster einen Blick auf die Stadt bot. »Wie hat er es bewerkstelligt, alle Verbrecher gleichzeitig aus dem Knast zu holen?«

»Um ehrlich zu sein«, Verity stand auf, »würde ich mir davon selber gerne ein Bild machen.«

»Eine Vermutung?«

»Sagen wir, ich habe Ideen. Aber ich würde mich gerne mit dem Gefängnispersonal unterhalten, bevor ich endgültige Schlüsse ziehe.«

»Diese Gelegenheit, aus der Kälte zu kommen, lasse ich mir nict entgehen.« Blake holte seine Waffe aus der Schublade. »Ich fahre.«

Eine Stunde später standen Blake und Verity in einer leeren Gefängniszelle und starrten in ein Loch.

»Und niemand hat etwas gehört?« Verity befragte das Personal. Er kannte die Antworten bereits, aber suchte nach der Bestätigung seiner Theorie.

Das Personal schüttelte den Kopf.

»Wie ich dachte.« Verity nickte.

Blake wurde ungeduldig. »Wollen Sie uns vielleicht erluchten oder sollen wir noch eine Weile in das dunkle Loch glotzen?«

»Vor einiger Zeit war ich an einem Fall beteiligt, bei dem eine Gruppe von Bankräubern mit der Hilfe einer neuen Lasertechnologie Löcher unter die Tresorräume von Banken gebohrt hat. Die Banken bemerkten es erst, als die Tresore bereits leergeräumt waren. Die Laser sind völlig lautlos.«

»Woher kamen diese Laser?« Blake vermutete, die Antwort bereits zu kennen.

»Die Ermittlungen endeten in einer Sackgasse.«

»Natürlich taten sie das.« Blakes Vermutung war richtig.

»Aber über unseren Ausbrechergehilfen haben wir vielleicht eine neue Spur. Wenn wir Statterstot finden, finden wir die Laser und dann finden wir die Bankräuber.«

»Sie sagen das, als würde Statterstot in der nächsten Kneipe auf uns warten. Wir haben nicht die geringste Spur von dem Mann. Er könnte die Stadt bereits verlassen haben.«

»Das halte ich für unwahrscheinlich. Er wird sich sein Werk aus der Nähe betrachten wollen.«

»Ihr Bullen seid wirklich nicht die Hellsten, oder?« Eine Frauenstimme kam aus einer der Zellen.

Felicia Fenix galt als die größte Ausbrecherkönigin der Welt. Die Ironie, dass sie zur Zeit die einzige Insassin des Gefängnisses von Livingon war, blieb den Polizsiten verborgen. Sie lag gemütlich auf ihrem Bett und wedelte mit einem Brief.

»Wenn ihr Breibirnen euren Job gescheit machen würdet, hätte der Ausbruch gar nicht stattgefunden.« Sie hielt Blake den Brief hin. »Statterstot hat allen Insassen bereits vor Wochen einen Brief geschrieben, in dem er den Ausbruch ankündigte.«

Blake nahm den Brief aus dem Umschlag. Er war handgeschrieben. Statterstot machte sich offensichtlich keine Sorgen darum, erwischt zu werden. Sogar eine Absendeadresse stand darauf. Blake überflog den Brief. Er handelte von einem Ausflug ans Meer. »Ich kann hier nichts von einem Ausbruchsplan finden.«

»Meine Fresse, seid ihr Streifenhörnchen dämlich. Die Botschaft ist natürlich etwas versteckt. Von oben nach unten gelesen ergeben die erste und letzte Reihe den Plan. Und bevor ihr Siplisten fragt: Das Datum ist die Absendeadresse.«

»Hausnummer 111«, las Blake. »Also ist die Adresse gefälscht und existiert überhaupt nicht?«

»Was denkst du, Meisterdetektiv?«

Blake steckte den Brief ein. »Darf ich den behalten?«

»Klar. Ich hatte nicht vor, ihm zu antworten.«

»Danke für die Hilfe, Miss …?«

»Fenix. Felicia Fenix.«

»Darf ich fragen, warum Sie noch hier sind, Miss Fenix?« Blake betrachtete das zugeschaufelte Loch in ihrer Zelle.

»Bitte, nenn mich Felicia. Sonst fühle ich mich nur alt.« Felicia setzte sich auf. »Wenn ich hier raus will, gehe ich hier raus. Ich benötige keine Hilfe von irgendeinem Wahnsinnigen, der die Stadt ins Chaos stürzen will. Hier drin ist es momentan wundervoll ruhig und entspannend. Ich haue ab, wenn die ganzen Möchtegernkriminellen mir hier drin wieder auf die Nerven gehen. Bis dahin ist es hier wie im Urlaub. Nur ohne kühle Cocktails und heiße Schnitten im Bikini.«

Blake und Verity kehrten zum Auto zurück. »Eine interessante Person«, bemerkte Blake.

»Völlig irre, wenn Sie mich fragen.« Verity schaute zu den Gefängnistürmen hoch. »Als ob sie einfach so aus dem Knast marschieren könnte, wann es ihr passt.«

»Allen anderen ist es offensichtlich gelungen.« Blake stieg ein.

Verity schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Beifahrersitz. »Ja, aber nur mit der Hilfe von Statterstot. Von dem wir immer noch keine Spur haben.«

»Wir sollten die Adresse auf dem Brief überprüfen. Vermutlich ist sie erfunden, aber sicher ist sicher.«

»Einen anderen Anhaltspunkt haben wir ohnehin nicht.« Verity schnallte sich an.

»Gibt es etwas neues zum Brandstifter?« Blake graute es bereits davor, wenn sich schon bald die Fälle stapeln würden und hoffte die vorhandenen so schnell wie möglich abschließen zu können.

»Bisher nicht. Ich habe Garcia den Fall übertragen. Vielleicht hat sie schon erste Ergebnisse, wenn wir zurück sind.«

Juana Garcia war weit von Ergebnissen entfernt. Sie stand in ihrem Mantel an einer Magnettafel mit zwei Fotos. Eins zeigte Commandant Whiskers, den ehemaligen Leiter der Polizeiakademie, dessen verkohlte Leiche in diesem Moment obduziert wurde. Das zweite Foto zeigte Alison Conary, Rekrutin an der Polizeiakademie, die ein Aufeinandertreffen mit dem Brandstifter überlebt hatte. Polizeichef Blake überlebte ebenfalls und war laut eigener Aussage das Hauptziel des Flammenwerfers. Garcia zitterte. Die Kälte lenkte vom Denken ab und erschwerte die Lösung des Falls. Bisher hatte sich Garcia zusammengesetzt, dass es der Feuerleger auf Polizisten abgesehen hatte. Aber warum? Wo kam er her? Wieso nutzte er ausgerechnet Feuer? Garcia hatte keine Antworten auf diese Fragen. Vielleicht konnte ihr Alison ein paar beantworten. Und sie konnte sich in der Polizeiakademie etwas aufwärmen.

Eine Flasche flog durch die Eingangstür.

Sie zerbrach in der Vorhalle.

Ein Feuerkreis setzte Tische und Vorhänge in Brand. Es wurde schlagartig warm im Polizeihauptquartier.

Livingon – Day One 3

LIVINGON #1.3 – DAY ONE PART 3 – JAN 2020

Polizeichef Carlton Blake wich der Flammenwerferattacke aus und eröffnete das Feuer auf Free Fire.

Die Kugeln prallten von der Rüstung ab. Blake trug keinen Schutz gegen die heiße Feuerwand, die auf ihn zurollte. Er sprang hinter das Auto. Die Flammen rauschten über ihn hinweg und versengten seine grauen Haare.

Mit seiner Pistole würde er hier nicht weit kommen. Er brauchte einen anderen Plan.

Alison Conary hatte einen Plan und trat aufs Gaspedal. Free Fire richtete die Waffe auf den heranrollenden Wagen. Die heiße Welle folgte dem vorbeirauschenden Auto. Alison schaute in den Rückspiegel. Free Fire widmete sich wieder dem Polizeichef.

Blake schaute wie ein Reh in die Mündung des Flammenwerfers. Der nächste Stoß würde mehr versengen, als nur seinen Haaransatz. Free Fire betätigte den Abzug.

Die Mündung spuckte eine winzige Stichflamme aus. Es folgte schwarzer Rauch. Das Auto raste heran. Free Fire drehte sich um und konnte noch die Arme vors Gesicht heben, bevor der Aufprall einige Dellen in die Rüstung schlug.

Alison hielt an und kurbelte das Fenster runter.

»Kein Benzin mehr.«

Blake schaute sie mit offenem Mund an. »Was?«

»Das Flammenwerfermodell verbrennt bei dieser Benzinmischung genau drei Flammenstöße, dann muss der Tank aufgefüllt werden.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Ich glaube, ich kriege gleich einen Herzinfarkt.« Blake lehnte sich an die Karosserie und atmete tief durch.

Hinter ihm setzte sich Free Fire auf wie ein Cyborg.

»Wir sollten jetzt los.« Alison stieß die Beifahrertür auf.

Free Fire hielt eine Flasche mit einem Tuch im Hals in der Hand.

»Einverstanden.« Blake sprang auf den Sitz.

Mit quietschenden Reifen fuhr der Wagen davon. Im Rückspiegel sahen sie die Straße in Flammen aufgehen.

Die Farbe entfernte sich aus Daxtons Haut. Es handelte sich nicht um einen Nebeneffekt der übertragenen Chamäleonfähigkeiten. Es war schlichte Todesangst.

Dogtooth knurrte. Lillian verbrachte jeden Tag mit Hunden. Sie wusste, was zu tun war. Sie zog einen Knochen aus ihrer Tasche und warf ihn aus dem Fenster. Dogtooth sprang hinterher. Einen uralten Instinkt legte auch ein mutierter Hund nicht ab.

»Was zum Geier passiert hier?« Lillian strich über ihr Fell.

»Ich habe nicht den blassesten Schimmer.« Die Blässe wich aus Daxtons Haut und sie nahm einen Grünton an. »Irgendwie haben sich die Eigenschaften der Tiere auf uns übertragen.« Daxton betrachtete seinen Arm. »Ich habe offensichtlich die Fähigkeiten von Carl gekriegt.« Er schaute Lillian an. »Und du die vom Lama.«

»Ich wusste, dass es keine gute Idee war, das Lama aufzunehmen.«

»Es könnte schlimmer sein.«

»Wie?«

Daxton zeigte zum Fenster, durch das Dogtooth verschwunden war. »Du könntest das da sein.«

Fest entschlossen ihr kriminelles Leben hinter sich zu lassen, fuhren Gerard Barrow und Elin Parker durch den Wald. Livingon versprach Möglichkeiten für einen Neuanfang. Eine neue Stadt. Ein neues Leben. Gute Vorsätze, die in diesem Moment zerschmettert wurden.

Die Frau lag leblos auf dem Asphalt. Neben ihr ein Schild. Darauf stand

Auf den ersten Blick war klar, dass diese Frau keinen Wald mehr retten würde.

»Du hast die Frau überfahren!« Elin schlug Gerard gegen die Schulter. »Weil du nie auf die Straße achtest.«

»Sie stand plötzlich auf der Straße.«

»Niemand steht einfach plötzlich auf der Straße.«

»Ich glaube, im Kofferraum ist eine Schaufel.«

»Was willst du mit einer Schaufel?«

»Was glaubst du? Eine Leiche macht sich nicht gut beim Neuanfang.«

»Ich sollte dich mit vergraben, dann hätte ich weniger Sorgen.« Elin stieg aus. »Ich trage die Schaufel.«

Alison ließ sich aufs Bett fallen. Sie hatte die Polizeiakademie erreicht und hoffte darauf, dass der Rest des Tages ruhig verlief.

Dieses Dröhnen. Ihre Kopfschmerzen verstärkten sich. Ungewöhnlich. Sie hatte nie Kopfschmerzen.

Die Tür flog auf und eine Blondine eilte zum Bett. Sie umarmte Alison mit einem Druck, der ihr die Luft abschnürte. Vielleicht würde die fehlende Sauerstoffzufuhr zum Gehirn ihre Kopfschmerzen lindern. Nein, das war es nicht wert.

»Penny, du drückst mir die Luft ab«, röchelte Alison.

»Ich habe gerade erst von deinem Unfall erfahren. Geht es dir gut?«

Penny Pearl. Das bekannteste Model der Stadt. Alisons beste Freundin. Sie hatte immer eine Kopfschmerztablette in ihrer Handtasche.

»Ich habe dir ja gesagt, dass dieser Job nichts für dich ist. Du hättest Model werden sollen.«

»Penny, ich habe bei weitem nicht dein Aussehen, deine Ausstrahlung und dein Selbstbewusstsein.«

»Man ist immer so schön, wie man sich fühlt.«

»Alt.«

»Wer ist alt?«

»Es heißt, ›man ist so alt, wie man sich fühlt‹.«

»Nun, wir fühlen uns jung, also sind wir wunderschön, nicht wahr?«

Gegen Pennys optimistische Grundeinstellung fehlten Alison die Argumente. Außerdem hinderten ihre Kopfschmerzen sie daran, klar zu denken. Sie schaute auf Pennys Handtasche, in der sich vermutlich Aspirin befand. Beim Gedanken daran hatte sie das Gefühl, dass ihr Gehirn explodierte. »Aspirin heißt eigentlich Acetylsalicylsäure und wird bereits seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von Pharmaherstellern vertrieben.« Alison ratterte den Satz runter, als würde sie einen Lexikonartikel auswendig aufsagen.

»Warum erzählst du mir das?«

Alison sprang auf und hielt sich den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

»Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Deine Handtasche wiegt 4,3874295 Kilogramm. Das wird für ungefähr eine Zehntelsekunde einen Abdruck auf dem Teppich hinterlassen.«

»Du machst mir Angst, Alison.«

»Angst ist ein Grundgefühl und entsteht, wenn man sich bedroht fühlt. Sie schärft die Sinne und aktiviert den Überlebensinstinkt. Die Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol und Kortison bewirkt « Alison blieb sie still stehen. Sie blinzelte und schüttelte den Kopf. »Die Kopfschmerzen sind weg.«

»Ähm … gut?«

Alison setzte sich auf ihr Bett. »Ich habe das Gefühl, dass sich mein Kopf mit jeder Menge Wissen füllt. Als würde jemand mit einem Druckluftreiniger Fakten in meinen Kopf schießen.«

»Du hattest einen anstrengenden und aufregenden Tag. Du brauchst Ruhe. Schlaf dich aus. Ich komme dich morgen wieder besuchen.«

Penny stand auf und ging. Vermutlich hatte sie recht. Trotzdem hätte sich Alison besser gefühlt, wenn sie ihr Acetylsalicylsäure dagelassen hätte.

Daxton Scott rieb sich über die schuppige Haut. »Es ist unglaublich.« Er konzentrierte sich. Seine Haut färbte sich blau. »Verdammt. Ich wollte grün.«

»Kannst du mal mit dem Quatsch aufhören und mit mir nach einer Lösung für unser Problem suchen?« Lillian Gillan spuckte an die Wand und schnitt mit einer Schere das Fell an ihren Beinen.

»Ich weiß nicht, was geschehen ist. Wir müssen mit irgendetwas in Kontakt gekommen sein, das unsere DNA mit der von den Tieren vermischt hat.«

Lillian starrte Daxton stumm an.

»Oder so«, fügte er hinzu und schaute zu Boden, um dem Blick auszuweichen. Ein brauner Fleck zog seine Aufmerksamkeit auf sich. »Der Kaffee!«

»Was ist mit dem Kaffee?«

»Du hast davon getrunken. Ich habe davon getrunken. Und Dogtooth hat ihn aufgeleckt.« Daxton dachte nach. »Und die Frau war auch noch da.«

»Welche Frau?«

Die Tür flog auf.

»Diese Frau.«

»Wer ist das?«

»Die Besitzerin des Tierheims.«

Miss Creston stand in der Tür, starrte Daxton durch gelbe Augen an.

Eine gespaltene Zunge schob sich durch ihre ledrigen Lippen. »Wasssss hasssst du mit mir angesssstellt?«

Gerard Barrow hielt den Wagen an. Von dem Hügel vor der Stadt hatte man einen guten Blick auf Livingon. Er legte die Hand um Elin.

»Unser neues Zuhause. Eine ungewisse Zukunft, aber eine ehrliche und verbrechenslose erwartet uns.«

Hinter den Gebäuden ging die Sonne unter. Aus einem Schornstein in der Mitte der Stadt stieg grüner Rauch auf. In der Ferne verstummten die Sirenen. Die Verbrecher und Gesetzeshüter erholten sich von einem aufregenden Tag.

Elin lächelte und legte den Kopf auf Gerards Schulter. »Sieht aus, als könnte man hier ein wundervolles Leben führen.«

Livingon – Day One 2

LIVINGON #1.2 – DAY ONE PART 2 – JAN 2020

 

Ein lautes Dröhnen. Ein heller Lichtschein. Umherfliegender Beton. Alison Conarys Erinnerung beschränkte sich auf diese Fetzen, deren Überreste um sie herum lagen. Staub. Steine. Stille.

Eine Hand streckte sich ihr entgegen. Sie zog Alison aus den Trümmern. Eine warme Decke. Wasser. Ausruhen. Sich erinnern. So viele Fragen …

 

Der Besuch beim Bäcker gehörte für Daxton Scott zu einem gelungenen Morgen, wie ein Blick auf die See, die vom Sonnenaufgang in einen roten Schimmer getaucht wurde. Er riss sich von dem Anblick los und betrat die Bäckerei.

Die Frau, mit der er zusammenstieß, ging wortlos weiter.

»Der junge Stiff Baker«, krächzte eine alte Frau über ihre Kaffeetasse hinweg und wedelte mit ihrem Gehstock in die Richtung des jungen Bäckers hinter der Theke.

»Ich heiße Steve.«

»Hätte nie gedacht, dass ich das noch erlebe. Als Kind war er immer so tollpatschig.«

Daxton nickte und beeilte sich, seine Bestellung aufzugeben, bevor er die Lebensgeschichte von Steve Baker anhören musste. Er kannte sie auswendig. Die Frau erzählte sie jeden Morgen. Vermutlich stimmte weniger als die Hälfte davon. Steve hatte es sich abgewöhnt, sie zu korrigieren.

Es grenzte an ein Wunder, dass Alison die Explosion unversehrt überstanden hatte. Die anderen Beteiligten hatten weniger Glück gehabt.

»Von Frank Hennigan fehlt jede Spur«, erklärte Polizeichef Carlton Blake. »Auf dem Dach gegenüber wurde ein Arm gefunden. Wir konnten noch nicht feststellen, ob er Frank gehörte.« Er holte einen Notizblock hervor. »Also, was ist passiert?«

»Das Gebäude ist explodiert.« Alison wusste nicht, was Blake von ihr erwartete. Woher sollte sie wissen, was genau geschehen war. Sie war nur zufällig auf dem Dach eines explodierenden Gebäudes gewesen. Im Nachhinein hätte sie sich lieber woanders aufgehalten.

»Sehen Sie, das ist seltsam, Miss Conary. Das Gebäude stand leer. Ich frage mich also, was die Exposion verursacht haben könnte. Erinnern sie sich an gar nichts? Keine Details? Etwas außergewöhnliches? Geräusche? Gerüche? Irgendetwas, das uns weiterbrigen könnte?«

Alison schüttelte den Kopf. Blake steckte den Notizblock weg, ohne etwas aufgeschrieben zu haben.

»Ich kann Sie zurück zur Akademie fahren, wenn sie wollen. Vielleicht fällt Ihnen unterwegs doch noch etwas ein.«

Alison schaute sich die Überreste des Gebäudes an und nickte.

 

Die Hunde begrüßten Daxton mit fröhlichem Schwanzwedeln im Tierheim. Vögel zwitscherten und flogen eine Ehrenrunde. Der Leguan ignorierte ihn. Lillian Gillan begrüßte ihn mit einem Chamäleon auf dem Arm.

»Da bist du ja endlich.« Lillian stellte sich Schulter an Schulter mit Daxton. »Carl ist heute sehr anhänglich und ich muss draußen das Lama füttern.«

Das Chamäleon kletterte auf Daxtons Schulter und schielte auf die Kaffebecher. Lillian schnappte sich einen davon, bevor ihr das Chamäleon oder ein anderes Tier ihr Frühstück wegschnappte und verschwand durch die Hintertür.

Daxton schlürfte seinen Kaffee. Er taumelte durch das wedelnde Hunderudel und wich Vogelkot von oben aus. Dabei übersah er die Frau, die das Tierheim betrat und verschüttete seinen Kaffee über ihre Bluse. Die Hunde eilten neugierig herbei.

Miss Creston trat mit ihren Schlangenlederstiefeln nach dem Hund mit der Zahnlücke, der ihr den Kaffee von den Stiefeln leckte. »Verschwinde, du Misttöle!«

»Es tut mir sehr leid.« Daxton eilte mit dem saubersten Tuch herbei, das er hatte finden können und tupfte die Kaffeflecken von Miss Crestons Mantel aus Robbenfell. Sie scheuchte ihn weg und lutschte den Kaffe von ihren Koalabärhandschuhen. »Trottel. Behandelt ihr so auch die Kunden?« Sie rümpfte die Nase. »Was ist das hier überhaupt für ein Saustall? Kein Wunder, dass der Laden den Bach runter geht.«

»In einem Tierheim ist es schon mal unordentlich.«

»Nicht in meinem Tierheim.«

»Ihrem Tierheim?«

»Ich habe die Bruchbude gekauft. Ich bin dein neuer Boss, Schätzchen. Und zuerst mal räumst du hier auf. Und dann überlege ich mir, ob du weiterhin hier angestellt bleibst.« Miss Creston machte auf der Stelle kehrt und verließ das Tierheim.

»Ihr habt sie gehört, Jungs«, Daxton streichelte Tooth, den Hund mit der Zahnlücke, »ich muss hier aufräumen.« Er brachte das Hunderudel ins Hinterzimmer und schloss die Tür.

Lillian kehrte zurück von der Lamafütterung und erstarrte beim Anblick von Daxton. »Warum bist du grün?«

Daxton schaute sich seinen Arm an, der einen grünlichen Farbton angenommen hatte. »Was zum Geier?«

Lillian veränderte sich ebenfalls.

»Warum wächst dir Fell?«

»Warum schielst du?«

»Warum läuft dir der Speichel das Kinn runter?«

»Was war das?«

Eine Pfote, so groß wie Daxtons Kopf, zersplitterte die Holztür. Eine Hundeschnauze schob sich durch das Loch. Die spitzen Zähne waren so groß wie Finger. Einer fehlte.

Daxton packte Lillian an der felligen Hand und zog sie hinter sich her zum Ausgang.

Tooth sprang durch die Holzreste der Tür und versperrte ihnen den Weg. Er bäumte sich auf und stand auf zwei Beinen vor ihnen. Seine Größe überragte Daxton um mehrere Köpfe. Geifer tropfte durch seine Zahnlücke.

»Braver Hund?« Daxton schluckte.

Die Fahrt verlief schweigsam. Alison dachte über die Ereignisse des Tages nach. Blake dachte über die Welle von Verbrechen nach, die über Livingon hereinbrechen würde. Beide waren sich einig, dass die Stadt nie wieder so sein würde wie zuvor. Eine Gestalt mitten auf der Straße zur Polizeiakademie riss beide aus ihren Gedanken. Sie glich einem modernen Ritter in einer metallenen Rüstung. Ein Schweißerhelm verbarg das Gesicht.

Blake trat auf die Bremse und schaute die Person an. Sie stand regungslos da. Blake starrte. Alison starrte.

»Ich schlage vor, wir fahren weiter«, sagte Alison.

»Ich frage mal nach, was los ist.« Blake öffnete die Fahrertür.

»Das halte ich für keine gute Idee.«

»Keine Sorge«, Blake lud seine Waffe durch, »ich bin immer abgesichert.« Er stieg aus.

Dann rollte eine Feuerfontäne über das Auto hinweg.

Livingon – Day One 1

LIVINGON #1.1 – DAY ONE PART 1 – JAN 2020

Eine Menschenmenge hatte sich vor dem Rathaus von Livingon versammelt. Bürgermeister William Kind näherte sich dem Ende seiner Rede.

»Zum fünften Mal in Folge ist unsere Heimatstadt Livingon die Stadt mit der niedrigsten Kriminalitätsrate weltweit. Die Statistik wird von Jahr zu Jahr besser. Und wir werden hoffentlich auch in einem Jahr wieder hier stehen und diese Urkunde für die Stadtsicherheit an Polizeichef Carlton Blake überreichen. Denn Livingon steht wie keine andere Stadt für eine sichere Zukunft.«

Wie erwartet jubelten die Menschen. Bürgermeister Kind wusste, wie er die Leute auf seine Seite ziehen konnte. Bescheidenheit war der Schlüssel zum Erfolg. Seine unaufdringliche Wahlkampagne mit dem Slogan »Vote for Kind. Would you be so kind?« hatte voll eingeschlagen. Livingon war bevölkert von zurückhaltenden Menschen und Bürgermeister Kind hatte bescheidene Leute in die höchsten Ämter befördert.

Einer dieser bescheidenen Menschen schüttelte in diesem Moment die Hand des Bürgermeisters und nahm die Urkunde entgegen. Blitzlichter hielten diesen Moment für die Zeitungen fest. Es war ein Kampf um das beste Bild und er wurde mit allen Waffen geschlagen, die der Fotojournalismus hergab. Rempler, Gedrängel, Ellbogenstöße … die Fotografen nahmen ein paar blaue Flecken in Kauf, um den perfekten Schnappschuss mitzunehmen. Aufgrund seiner geringen Körpergröße trug Robert Bloom auch mal eine Platzwunde an der Stirn davon. Für ein gutes Bild mussten Opfer gebracht werden.

Polizeichef Carlton Blake bedankte sich beim Bürgermeister. Für die Fotografen hielt er die Urkunde hoch und lächelte durch seinen Drei-Tage-Bart.

»Dank der gutmütigen Menschen von Livingon, findet in dieser Stadt jeder ein sicheres Zuhause. Und dank der hervorragenden Statistik können wir in eine sichere Zukunft blicken.«

Schüsse in die Luft. Ein Mann mit einer zackigen Narbe unterm Auge zog die Aufmerksamkeit auf sich. »Statistiken sind faszinierend, nicht wahr?« Clarence Statterstot, kurz Stats genannt, stand in der Menschenmenge, die sich auf dem Boden zusammengerollt hatte. »Manche sind für die Ewigkeit. Andere lassen sich leicht beeinflussen. Zum positiven. Und zum negativen.« Er betrat das Podium und wedelte mit der Waffe in seiner Hand zum Polizeichef herüber. Blake wich zurück. Mehrere maskierte Männer mit Schrotflinten stellten sicher, dass Polizei und Staatsgewalt sich jede Bewegung gut überlegten. Stats sprach in das Mikrofon. »Sie können jetzt wieder aufstehen.« Die Menge traute sich zögerlich auf die zittrigen Beine. »Keine Angst. Ich werde Ihnen nichts tun. Es lauern größere Gefahren in der Stadt als ich. Sehen Sie, diese Stadt ist nicht so sicher, wie es den Anschein macht. Statistiken können täuschen. Nur eine kleine Änderung reicht aus, um Statistiken zu beeinflussen. Ein Beispiel: In einer Stadt mit einer niedrigen Kriminalitätsrate, können die Zahlen rapide steigen, wenn jemand einen Massenausbruch aus dem Gefängnis inszeniert.«

Sirenen. Aus allen Richtungen. An unterschiedlichen Orten der Stadt. Unzählige Verbrechen, die gleichzeitig begangen wurden.

Stats grinste und breitete die Arme aus. »Ich wünsche Ihnen einen sicheren Heimweg.«

Der Unterricht in der Polizeiakademie hatte sich als langweiliger herausgestellt, als es Frank Hennigan vermutet hätte. Er hatte sich darauf vorbereitet, Verfolgungsjagden zu üben und Motorhaubenrutschen zu trainieren. Stattdessen saß er an einem kleinen Holztisch und notierte sich langweilige Statistiken, die angeblich wichtig waren, um das Verbrechen in der Stadt so gering wie möglich zu halten. Frank hatte eine eigene Vorstellung davon, wie man das Verbrechen bekämpfen sollte und ein Kugelschreiber spielte dabei keine Rolle.

Neben ihm schrieb Alison Conary eifrig mit. Sie liebte die Theorie und war der festen Überzeugung, dass sich jedes Problem ohne Gewalt lösen ließ. Frank bewunderte diese Naivität und auf gewisse Art mochte er Alison für ihre positive Grundeinstellung. Vielleicht, weil sie das genaue Gegenteil zu seinem Pessimismus darstellte. Nichts konnte Alison die Laune verderben. Frank hingegen war von Natur aus negativ geladen und entlud seine Aggressionen regelmäßig am Sandsack oder auf dem Schießstand. Natürlich nicht dem der Polizeiakademie. Bisher hatten die angehenden Kadetten noch nicht mal eine Waffe zu Gesicht bekommen. Geschweige denn abgefeuert. Bis auf Frank hatte vermutlich niemand der Anwesenden jemals eine Pistole in der Hand gehalten. Es war ihm ein Rätsel, wie diese Truppe mit dieser Ausbildung die Sicherheit der Stadt gewährleisten sollte.

Feueralarm. Vermutlich nur ein Fehlalarm. Immerhin verkürzte er den Unterricht. Frank knüllte seine Notizen in die Hosentasche und verließ das Klassenzimmer.

Polizeichef Blake kommandierte seine Truppen. Er wusste, dass es ausweglos war. Ein Mann wie Statterstot ließ sich nicht verfolgen und verhaften. Trotzdem mussten sie es versuchen. Die Polizeiautos fuhren in alle Richtungen davon. Blake erwartete keine Ergebnisse.

»Jemand hat Commandant Whiskers Büro in Brand gesteckt?« Alison schaute zu den Fenstern hinüber, aus denen der letzte Rauch verkohlter Inneneinrichtung aus Mahagoni aufstieg.

»Während er drin war«, ergänzte Frank.

»Schrecklich.«

»Ja.« Frank legte ihr die Hand auf die Schulter. »Hast du Lust mit zum Schießstand zu gehen? Das bringt auf andere Gedanken.«

»Ich fasse keine Waffe an.«

»Musst du nicht. Du kannst zuschauen und dir Notizen machen. Vielleicht hilft es dir eines Tages, wenn du mit einer Waffe bedroht wirst.«

Wayne Hill war kein talentierter Verbrecher. Den Großteil seines Lebens hatte er im Knast verbracht. Die Freude über seine vorzeitige Entlassung, gemeinsam mit allen anderen Insassen, wurde durch die Erkenntnis getrübt, dass er keine Aussicht auf einen Job und ein ruhiges Leben hatte. Frisch bewaffnet betrat er eine Tankstelle, um sich Kleingeld und Zigaretten zu besorgen.

Ein ungewöhnlicher Lärm beherrschte die Stadt. Livingon war immer etwas lauter als die Gegend außerhalb der Stadt, wo sich die Akademie befand. Heute heulten Sirenen und dröhnten Hupen und quietschten Reifen. Ein schwerer Unfall? Frank und Alison hätten sich die Lage genauer angeschaut, aber …

Ein Schuss. Eine zersplitternde Glasscheibe. Ein Mann ergriff die Flucht.

»Ein flüchtiger Verbrecher!« Frank konnte sein Glück kaum fassen. »Komm, den schnappen wir uns.«

Aus einem Reflex heraus lief Alison hinter Frank her. »Wir sind keine Polizisten.«

»Noch nicht.«

Sie bogen in eine Gasse ab.

»Wir haben keine Befehlsgewalt.«

»Das weiß der Verbrecher nicht.«

Sie kletterten eine Feuerleiter hoch.

»Wir sind nicht für eine Verhaftung ausgebildet.«

»Wenn wir ihn geschnappt haben, improvisieren wir.«

»Bleibt zurück oder ich schieße.« Wayne stand auf dem Dach des Gebäudes gegenüber und zielte auf die Polizeikadetten.

Frank und Alison blieben stehen. Wayne schoss.

Die Kugeln rauschten meterweit an Frank und Alison vorbei. Wayne ging hinter einer Kiste in Deckung und lud nach. Er war nie ein talentierter Schütze gewesen. Er hoffte, dass die Verfolger das nicht bemerkten.

»Das ist so aufregend.« Frank kauerte hinter einem Betonblock neben Alison und knöpfte sein Hemd auf.

»Stimmt etwas mit deinem Hemd nicht?«

»Nein, alles wunderbar. Spannung und Action erfordern ein aufgeknöpftes Hemd. Das sieht cooler aus. So einen Moment habe ich mir immer gewünscht.«

»Du hast dir gewünscht, dass man auf dich schießt?«

»Nicht direkt. Aber ich wollte immer Verbrecher jagen und das Böse bekämpfen. Wie ein Superheld. Und dann würden mich die Leute mit meinem Superheldennamen anreden.«

»Und wie lautet der?«

Frank dachte nach.

»ACTION MAN!«, verkündete er strahlend.

»Was Besseres fällt dir nicht ein?«

»Was ist verkehrt daran? Kurz und einprägsam. Und die Bösewichte wissen direkt, was sie erwartet.« Frank stand auf.

»Was hast du vor?«

»Ich fasse den Verbrecher und zeige dir, wie Action Man die Dinge regelt.«

»Er ist bewaffnet.«

»Hast du ihn nicht schießen sehen? Der würde keine Zielscheibe aus einem Meter Entfernung treffen.« Frank grinste. »Mach dir keine Sorgen. Halte dich bereit, ihm seine Rechte vorzulesen. Im Gegensatz zu mir hast du sie bestimmt auswendig gelernt.«

Frank lief los.

Wayne kam aus der Deckung.

Alison spähte vorsichtig um die Ecke.

Frank erreichte die Lücke zwischen den Gebäuden. Er sprang ab.

Wayne schoss.

Die Kugeln rauschten in alle Richtungen um Frank herum davon und verfehlten ihn ausnahmslos.

Alison hielt den Atem an.

Dann explodierte das Gebäude unter ihr.

Making Of – Dewon Harpers Krankenscheine

Interessiert zwar keine Sau, aber ich haue natürlich trotzdem meine kleinen Anekdoten zu den einzelnen Geschichten im neuen Buch raus. Es geht um

DEWON HARPERS KRANKENSCHEINE

Große Spoiler werde ich möglichst vermeiden. Trotzdem ist es natürlich sinnvoller, erstmal die Geschichten zu lesen, bevor ihr euch die Hintergründe dazu inputiert. Wenn ihr noch nicht im Besitz von DEWON HARPERS KRANKENSCHEINE seid, könnt ihr es hier als Ebook und Taschenbuch erwerben.

GEBRANNTE MANDELN

Anfang des Jahres wollte ich eigentlich an einer Ausschreibung für eine Zombie-Anthologie teilnehmen. Und dann stellte ich fest, dass absolut nichts exitiert, das ausgelutschter und langweiliger ist als Zombies. Obwohl ich mich für recht kreativ halte, war selbst ich nicht in der Lage, diesem Genre noch irgendwie etwas neues hinzuzufügen oder zumindest einen frischen Ansatz zu finden. Also habe ich die Geschichte unfertig liegenlassen und jetzt verrottet sie auf meiner Festplatte wie ein Zombie. Ein passendes Ende dafür also. Was das mit dieser Geschichte hier zu tun hat? Nun, zeitgleich arbeitete ich an den ersten Geschichten für die Krankenscheine und irgendwie schwappte der Zombieeinfluss dann auf diese Story über. Ursprünglich ging es ums Rauchen. Damit hatte ich nämlich gerade aufgehört (zum vierten Mal). Und das wollte ich irgendwie verarbeiten und gleichzeitig Raucher sowie Nichtraucher als die nervigen Fatzken entlarven, die sie allesamt sind. Ja, wir sind alle Arschlöcher. Ob wir rauchen oder nicht. Lebt damit.

DER KOLOSSALE KAMPF DER MONSTRÖSEN UNGETÜME

In letzter Zeit mal im Kino gewesen? Ihr wisst schon: dieser Ort mit großer Leinwand, in dem sich ursprünglich Leute versammelten, um einen Film zu genießen und heute jeder Heiopei die anderen stört, während igendein austauschbarer Blockbuster von der Firma mit der Monopolmaus die Leinwand mit generischen Computereffekten zukleistert. Nun, in Lebingen ist das Kino ebenfalls beliebt und es wird immer nach neuen Möglichkeiten gesucht, die Zuschauer in den Sitz zu pressen. Dass dabei durchaus mal ein wenig Chaos ausbricht, sollte nicht überraschen. Und dass ich als großer Filmfan hier einen kleinen Rundumschlag gegen Kinos, Produktionsstudios, Blockbuster und Zuschauer gleichermaßen bringe, ebenfalls nicht.

DER GROßE BERNTHAL

Alle Jubeljahre kriege ich es in den Kopf. Dann schaue ich mir im Internet irgendwelche Zaubertricks an und scheitere daran, die Tricks zu durchschauen. Die Frage, was wohl wäre, wenn das alles gar keine Tricks sind, sondern der Zauberer tatsächlich magische Fähigkeiten hätte, ist nicht neu, aber ich wollte damit mal ein wenig herumspielen. In Lebingen ist sowas eben möglich und so lasse ich hier mal ein wenig die Magie raus. Die Grundidee führte dann zu einem Ende, das mir noch Möglichkeiten für Fortsetzungen lässt, was zwar vorerst nicht geplant ist, aber vielleicht kommt mir ja irgendwann mal eine interessante Idee, wie man den magischen Spaß noch erweitern kann.

DAS GELD AUF DER BANK

Eine übliche Lebingen-Geschichte. Ein Bankraub, ein Hypochonder, inkompetente Polizisten, Pockenviren … eben ein ganz normaler Tag in Lebingen. Hier wollte ich einfach ein wenig Spaß mit den Charakteren haben und das wars. Kein großer Hintergrund hier.

TRESH KOMPEKTA

Hier war ich lange am überlegen, ob ich die Geschichte wirklich mit reinnehmen soll, aber es musste einfach sein, um nochmal die Grenzen aufzubrechen. Denn diese Geschichte spielt nicht in Lebingen und weicht somit komplett vom Konzept der Reihe ab. Andererseits aber dann doch nicht. Lest sie halt selbst, dann versteht ihr vielleicht, was ich meine. Nur so viel: Der Einfluss des Anhalters ist jederzeit spürbar, denke ich. Und von diesen Charakteren haben wir definitiv noch nicht das Letzte gelesen. Da wird noch einiges kommen, wenn ich meine Pläne umsetzen kann.

Die Rahmenhandlung kommt nebenbei auch endlich richtig in die Gänge. Wenn das mal nicht so richtig heiß aufs Lesen macht, dann weiß ich auch nicht. Hier könnt ihr die Bücher der Reihe günstig erwerben.

Weggelesen oder Weggelegt – Pratchett, Goodhue, Gifune

WEGGELESEN

TERRY PRATCHETT – ALLES SENSE

Einer der Scheibenweltromane, die mich nie so recht überzeugen konnten. Es ist eigentlich alles da: Tod, die Zauberer, abstruse Vorgänge und Entwicklungen, Scheibenweltschwachsinn … aber irgendwie springt der Funke bei dieser Geschichte nicht über. Das Ende ist fantastisch (und ich bin mir ziemlich sicher, dass Pratchett beim Schreiben die Idee zu einem späteren Scheibenweltroman mit „Steinen drin“ kam), aber der Weg dorthin doch irgendwie recht zäh. Zeigt, dass auch die ganz großen nicht immer einen Treffer landen. Wobei es natürlich ein gutes Buch ist. Nur eben nicht so meins.

Passend zum Halloweenmonat Oktober habe ich mich außerdem an zwei Horrorroman versucht und … es ist beim Versuch geblieben:

WEGGELEGT

H.E. GOODHUE – TIDAL GRAVE

Irgendwann im Verlauf der Literatur hat sich offenbar die Annahme verfestigt, dass Antihelden vor allem riesige Arschlöcher sein müssen, die der Leser unweigerlich absolut zum Kotzen findet. Hier ist das nicht anders und für mich immer ein Grund, die Geschichte abzubrechen. Versteht mich nicht falsch: Ich brauche auf keinen fall den überguten Strahlemann, der nicht einen Hauch von Bösem in sich hat. Ich brauche aber erst recht nicht jemanden, der alles und jeden scheiße findet und mir das in jedem zweiten Satz unter die Nase reibt, wie zum Kotzen die Welt und alles in und auf ihr eigentlich ist. Irgendwo in der Mitte befinden sich die wirklich interessanten Charaktere, die mich bei der Stange halten. Davon gibts hier keine. Wer kein Arschloch ist, ist ein Trottel und wer beides nicht ist, ist einfach nur da. Zum Monster kann ich nicht viel sagen, dafür habe ich den Krampf nicht lange genug durchgehalten. Scheint aber nur ein Riesenkraken zu sein und die hatten wir halt auch schon tausendmal. Nichts neues hier also und leider dann auch nicht trashig, sodass man Spaß mit dem Quatsch haben könnte.

Noch schlimmer ist allerdings:

GREG F. GIFUNE – MIDNIGHT SOLITAIRE

10 Seiten unfassbar langweiliger Schreibstil, der wohl durch unfassbar generisches Gemetzel gerettet werden soll. Dazu nervende Gedankenblocks der Charaktere, die wohl das Innenleben zeigen sollen, aber eigentlich komplett austauschbar daherkommen. Zur Story kann ich nichts sagen. Wirkte wie ein Killer jagt Idioten im Wald Setting auf mich. Immerhin scheint der Killer aber eine Motivation zu haben, die über das schlichte Morden hinausgeht. Welche das ist, werde ich nie erfahren.

Schreiben wie ein selbsternannter Schriftsteller – Die Aufgabe des Helden erschweren

Beim letzten Mal ist Peter daran gescheitert ein Ritter zu werden. Während ich die Szene schrieb, kam mir eine Idee, die direkt darauf aufbaut und diese Szene im Nachhinein wichtiger macht. Dafür muss ich allerdings ein bisschen nach vorne springen in der Geschichte. Da in die Nummer hier aber ohnehin mal etwas Zug reinkommen kann, ist das vermutlich gar nicht so schlimm. Normalerweise schreibe ich meine Geschichten chronologisch. Soll heißen: Wenn mich eine Szene auf eine Idee bringt, die sich später verwenden lässt, mache ich mir eine Notiz und kümmer mich dann darum, wenn ich dort ankomme.
In diesem Fall mache ich eine Ausnahme und wir springen zu der Stelle, an der die Schlangofanten die Burg erreichen und diese stürmen.

Lord Edgar stand auf einem Hügel einige Kilometer entfernt von der Burg und schaute sich an, wie die Schlangofanten das taten, was sie am besten konnten: Chaos verbreiten.
Krump und seine Armee schnetzelten sich durch die Wachen, als wären sie nichts weiter als Dekoration auf dem Burghof. Für die meisten Wachleute stimmte das auch beinahe. Ihre Ausbildung beschränkte sich darauf, ein Schwert halten zu können und sich durch tagelangen Schlafentzug daran zu gewöhnen, vor Türen zu stehen und dabei nicht einzuschlafen. Krump und die Schlangofanten erfüllte diese Schlacht nicht. Sie bevorzugten einen richtigen Kampf auf Leben und Tod und sahen es als Ehre an, auf dem Schlachtfeld zu sterben. In diesem Fall hätten sie sich selbst erstechen müssen, um diesen ehrenvollen Tod zu finden. Ein Tor öffnete sich und eine Truppe schwer gepanzerter Ritter unter Leitung des Wachmanns mit dem verbeulten Helm ritt auf den Hof. Vielleicht bestand doch noch Aussicht auf das ehrenreiche Ableben an diesem Tag.

Während die Ritter und die Schlangofanten kämpfen, steht Lord Edgar also auf dem Hügel und beobachtet das Geschehen. Als Magier und Antagonist der Geschichte hilft er logischerweise etwas nach, um die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen. In dem Zusammenhang fällt mir gerade wieder ein, dass ich zumindest die magische Sprache bereits im Ansatz entwickelt hatte. Das reicht aber eigentlich nicht, denn ich sollte mir ein ganzes Magiesystem überlegen. Das passt hier jetzt nicht hin, also verschiebe ich das aufs nächste Mal. Jetzt belegt Edgar einfach mal alle Ritter mit einem Fluch, sodass die Schlangofanten leichtes Spiel haben. Und hier kommen wir zurück zum letzten Teil. Peter hat die Ritterprüfung schließlich nicht bestanden und somit betrifft ihn dieser Fluch nicht. Das heißt, dass er kämpfen kann. Allerdings ist er kein Kämpfer und muss da erstmal hinkommen. Denn sind wir ehrlich: Eigentlich ist er der reinste Lappen.

Peter tat das, was ein Hausmeistersohn, der kurz zuvor die Ritterprüfung vergeigt hatte, in so einem Fall sinnvollerweise tut: Er versteckte sich in einem Schrank. Die Schlangofanten patroullierten in der Burg und durchsuchten jeden Winkel. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn finden würden.
„Lasst mich los!“, befahl eine ihm bekannte Stimme.
„Sie haben die Prinzessin“, flüsterte er.
Peter kannte sich nicht gut mit der Fauna des Landes aus, sonst hätte er gewusst, dass Schlangofanten ein äußerst gutes Gehör haben, dem kein noch so leises Flüstern entgeht. Krump riss die Schranktüren auf.
„Was haben wir denn hier?“ Krump und eine Gruppe von Schlangofanten musterten Peter und überlegten, wer von ihnen die besten Teile verspeisen durfte.
Peter hatte nicht vor, eine Entscheidung abzuwarten und tat das, was man in so einem Fall sinnvollerweise tut: Er lief los und sprang ganz unheldenhaft aus dem Fenster. Krump schaute aus dem Fenster in den dreckigen Burggraben, aus dessen dickflüssigem Wasser Luftblasen aufstiegen. Nichtmal ein Schlangofant hätte sich freiwillig in dieses Gewässer getraut. Der Junge war zwar dumm gewesen, aber Krump respektierte diesen Mut. Er rotzte einen Schleimklumpen aus seinem Rüssel in das Tümpelwasser und ging davon, um nach weiteren mutigen und dummen Personen in der Burg zu suchen.
Peter tauchte auf und wischte sich den stinkenden Matsch aus den Augen. Die Tatsache, dass er nicht von Speeren oder Pfeilen durchbohrt wurde, deutete er als Zeichen dafür, dass ihm niemand seine Aufmerksamkeit schenkte. Er watete an Land und lief so schnell davon, wie es seine matschigen Kleider zuließen.

Die Burg ist also in der Hand von Lord Edgar und Hausmeistersohn Peter, der bisher absolut nichts geleistet hat, was ihn irgendwie heldenhaft erscheinen ließe, ist die letzte Hoffnung, die Burgbewohner zu retten. Wie genau das weitergeht, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, deshalb schauen wir beim nächsten Mal zuerst, was Lord Edgar auf der Burg so anstellt und überlegen uns eine Magiesystem. Das dürfte interessant werden.

Wie erschwert ihr dem Helden seine Aufgabe? Lasst ihr sie dafür auch aus Fenstern springen? Und in wie vielen Burggräben seid ihr schon geschwommen?

Veröffentlichung: Dewon Harper geht in Runde 4

Es hat etwas länger gedauert, als ursprünglich geplant, aber jetzt gibt es endlich den vierten Teil der DEWON HARPER Reihe mit fünf weiteren Kurzgeschichten aus Lebingen.

Wenn euch das absolut fantastische Cover nochb nicht überzeugt, dann tut es vielleicht der Klappentext:

Was macht ein verletzter Mann, der nicht weiß, welche Ärzte ihn behandeln? Er stellt eine Eigendiagnose.

Dewon Harper erwacht in einem Krankenbett. Seiner Erinnerung an die eigene Vergangenheit hat ein Sprung vom Dach nicht geholfen. Ganz im Gegenteil. Während er mit gebrochenem Bein in einem abgeschotteten Zimmer liegt, versucht er herauszufinden, wo er sich aufhält und wer ihn dort hin gebracht hat. Seine eingeschränkten Nachforschungen rufen in ihm die einzigen Erinnerungen hervor, die in seinem Kopf verblieben sind. Diese Erinnerungen bestehen aus den Geschichten über die Einwohner von Lebingen. Einer Stadt, in der dem Irrsinn scheinbar keine Grenzen gesetzt sind:

Die Raucher vernebeln die Stadt, ein Kinofilm ruft eigenartiges Verhalten bei den Zuschauern hervor, ein Bühnenzauberer entdeckt seine wahren magischen Fähigkeiten, ein Bankraub verläuft nicht wie geplant und auf einem Müllschiff sorgt ein Parasit für Aufregung.

Oder ein Textauszug wie dieser hier:

Wie ein Geisterpirat schritt Grete durch den dichten Rauch in der Stadt. Hinter ihr schleifte der Enterhaken über den Boden und verursachte ein metallenes Geräusch, dass jeden zusätzlich in Angst und Schrecken versetzen konnte. Ältere Bewohner hätten bei einer Begegnung sicher direkt eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten, wenn sie an den Piratenkrieg erinnert worden wären, der viele Jahre zuvor in Lebingen stattgefunden hatte. Da sich niemand auf die Straße traute, der es nicht unbedingt musste, begegnete Grete nur einer einzelnen Gruppe von Leuten in einer Gasse. Sie vergewisserte sich, dass diese kein Feuer spuckten oder mit schwarzen Klumpen um sich husteten und schaute sich an, was in der Gasse los war. Zu dieser Zeit konnte man nur auf zwei Gruppen von Menschen treffen. Raucherklubs, die gemeinsam Mandelkraut rauchten und sich gegenseitig anhusteten oder wütende Mobs, die jemanden aufhängen wollten. Diese Gruppe war den Lynchmobs zuzuordnen. Mehrere Männer, Frauen und Kinder, die die Eltern nicht alleine zu Hause lassen wollten, damit sie dort nicht heimlich Mandelkraut rauchten oder versehentlich die Wohnung in Brand setzten, standen in einem Kreis um einen Mann herum, der auf dem Boden lag und leise wimmerte.

Leise wimmernde Männer sind ein Zeichen dafür, dass etwas schief läuft. Unter der Herrschaft von König Wimmer hatte Lebingen jahrelang zu leiden. Der Mann war so wehleidig gewesen, dass er ständig über Schmerzen klagte und wimmernd in seinem Bett lag. Jeder, der niesen musste oder sich kratzte, wurde direkt hingerichtet, aus Angst vor übertragbaren Krankheiten seitens des Königs. Er starb wimmernd in seinem Bett, als die Königin ihm ein Kissen ins Gesicht drückte, weil sie sein Wimmern nicht mehr ertragen konnte. Die Königin wurde erst als Erlöserin gefeiert und schließlich hingerichtet, weil Königsmord auch bei wimmernden Königen eine unverzeihliche Straftat war.

Grete quetschte sich zwischen die schreienden und tobenden Menschen und schaute sich den Mann am Boden an. Sie erkannte ihn an den zerzausten blonden Haaren, die den Eindruck vermittelten, dass er sich täglich mehrmals die Haare raufte. Der Beruf des Bürgermeisters war mit Sicherheit eine stressige Angelegenheit. Grete konnte sich nur vorstellen, wie sehr das einen Mann wie Hayo mitnahm, der auf sie wirkte, als würde er ständig kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Und das lag nicht nur am momentanen Gewimmer. Grete griff nach ihrem Säbel und stellte sich vor Hayo.

Jetzt könnt ihr es natürlich kaum erwarten, zuzuschlagen und euch den Spaß zu gönnen. Das könnt ihr hier tun und habt die Wahl zwischen digitaler und haptischer Version. Wenn da mal nicht für jeden was dabei ist …

Weggelesen oder weggelegt? – Schlinkert, Cline

Heute gibts einen Verriss vom Feinsten zu einem Bestseller aus der Nostalgiehölle:

WEGGELESEN

NORBERT W. SCHLINKERT – KEIN MENSCH SCHEINT ERTRUNKEN

70 Seiten pure Verwirrung, die einen aber irgendwie gut bei der Stange hält. Der Erzähler springt fröhlich von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit und ich habe zu keinem Zeitpunkt durchgeblickt, was hier eigentlich Phase ist. Was wahr und was nur Einbildung. Oder ist alles nur ein Traum? Was weiß ich. Nettes, kleines Buch.

LEIDER NICHT WEGGELEGT

ERNEST CLINE – READY PLAYER ONE

Mir war bereits im Vorfeld bewusst, dass ich mich hier keinem Meisterwerk widme, aber ich wollte einfach ein wenig Spaß bei der abenteuerlichen Schatzsuche haben und dabei die Referenzen auf die Popkultur der 80er entdecken. Leider bietet der Roman von alledem absolut gar nichts und ist nichts weiter als ein grauenhaftes Blendwerk, dessen Erfolg einzig und alleine auf der verabscheuungswürdigen Retrowelle und dem Nostalgiewahn beruht, der in allen Medien vorherrscht, weil niemand mehr wirklich eigene Ideen zu haben scheint.

Als dreidimensionale Avatare bewegen sich die eindemsionalen Charaktere hier durch eine Online-Welt, die für ungefähr 5 Seiten interessant ist, denn dann weiß man bereits alles, was man darüber wissen muss. Über die Charaktere erfährt man ebenfalls nicht viel, was aber nicht schlimm ist, denn das einzig wichtige ist, dass sie alles wissen, alles können und wenn mal etwas nicht auf Anhieb funktioniert, haben sie einfach Glück und es gelingt eben zufällig. So dümpelt die Schatzsuche ohne echte Highlights oder richtige Rückschläge dahin. Es geht einfach so durch. Egal, was der Protagonist anpackt, es klappt immer. Er ist die absolute Perfektion und damit die personifizierte Langeweile.

Die abenteuerliche Schatzsuche fällt dadurch weit weniger abenteuerlich aus, als sie es sein könnte. Hier wird mal ein Spiel durchgezockt, da mal ein kleines Filmrätsel gelöst und dann geht es weiter. Immerhin sind die kleinen Rätsel noch das Interessanteste an der Geschichte, denn es sind die einzigen Momente mit Verweisen auf die Popkultur der 80er Jahre, die nicht aus simplen Namedropping oder langweiligen Auflistungen besteht. Alles ist absolut offensichtlich. Der Leser darf kaum etwas selbst entdecken. Als hätten die 80er eine Pfütze von Nostalgie ausgekotzt und würden den Leser immer wieder mit dem Gesicht direkt reindrücken. Ernest Cline mag sich mit den 80ern auskennen, aber er ist nicht der Einzige. Die Leser sind schließlich nicht bescheuert und können auch mal selbst ein Zitat oder einen Verweis erkennen, ohne dass ihnen alle vorgekaut wird.

Infodumps ohne Ende und „Tell don’t show“ runden das Grauen dann ab und machen das Buch zu einer absoluten Qual. Ich kann ja durchaus „Fehler“ verzeihen. Du hast keine Charaktere? Kein Problem: gib mir Abenteuer. Du hast kein Abenteuer? Egal: gib mir Spannung. Du hast keine Spannung? Ist okay: gib mir einen unterhaltsamen Schreibstil. Hier gibt es absolut nichts davon. Keine Charaktere, lascher Weltenbau, langweiliger Stil voller Infodump, den Abenteueranteil und die Entdeckungen auf ein Minimum beschränkt. Warum diese Scheiße so erfolgreich ist, ist klar. Zeitgeist. Retrowahn. Nostalgiewelle. Es ist die reinste Seuche. Teil 2 ist natürlich bereits angekündigt, denn die Leser wissen was sie wollen. Langweilige Scheiße, auf der ganz groß RETRO steht. Es ist zum Kotzen …