Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #18

Zu Teil 17

Ich sitze am Wasser und werfe Steine in den See. Als Kind war das eine aufregendere Beschäftigung. Mir fällt auf, dass sich das Wasser komisch verhält. Die Wellen, die die Steine beim Aufprall auf die Oberfläche verursachen, ebben sehr schnell wieder ab. Vielleicht hat es etwas mit den Frauen zu tun, die im See leben.

Ich höre Schritte. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wer hinter mir herannaht. Meine Vermutung ist richtig. Es ist der Minotaurus. Ich stelle mich mental darauf ein, von ihm verprügelt und im See versenkt zu werden. Er steht vor mir und schaut mich mit dem nötigen Ausmaß an Abscheu an, um mir unmissverständlich verständlich zu machen, dass er von meiner Anwesenheit auf seiner Insel alles andere als begeistert ist.

»Komm mit«, brummt er, dreht sich herum und geht wieder.

Ich überlege, ob ich wirklich mit gehen soll, oder mein Glück doch besser im See versuche. Ich entscheide mich für die Insel und folge ihm in seine Höhle. Immerhin muss ich nicht wieder durch das stinkende Labyrinth tapern. In der Mitte seiner Schmiede präsentiert er mir einen etwa einen Meter hohen Käfig. Sieht stabil aus.

»Gute Arbeit«, sage ich als hätte ich auch nur den Hauch einer Ahnung wovon ich spreche und grinse wie ein Vollidiot, um vielleicht doch noch das Eis zwischen uns zu brechen.

Er packt mich am Arm und bricht mir fast die Knochen, als er mich in den Käfig wirft und die Tür mit einem Vorhängeschloss verschließt.

Dann packt er sich den Käfig mit mir drin auf die Schulter und trägt uns nach draußen. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, dass es für ihn viel einfacher gewesen wäre, den Käfig zu mir zu bringen, statt andersherum, aber vermutlich spreche ich ihm zu viel Intelligenz zu, um so einen Gedankengang zu bewerkstelligen. Da sein Hirn zwar klein, seine Muskeln aber groß sind, weise ich ihn nicht auf diesen Denkfehler hin. Er setzt den Käfig am Strand ab und drückt mir einen Schlüssel in die Hand.

»Lass dich nicht nochmal auf meiner Insel sehen«, brummt er und stapft davon.

Ich fuckel mit dem rostigen Schlüssel an dem rostigen Vorhängeschloss herum. Es würde mich nicht wundern, wenn der Schlüssel einfach abbricht, sobald ich ihn drehe. Er bricht nicht ab. Dafür fällt das Schloss auseinander.Ich öffne die Tür, trete aus dem Käfig und stehe erneut am versifften Strand.

Aber nicht lange, denn etwas kommt geflogen. Ich schaue in den Himmel, der Sonne entgegen, und sehe zwei gigantische Flügel schlagen. Ich stelle mich auf weitere Probleme ein, denn ich habe eine Vermutung, wer mich hier am Strand besuchen kommt.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 19

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #17

Ich will ehrlich sein, denn so bin ich nun mal. Irgendwie habe ich diese Geschichte so lange liegen lassen, dass ich den Faden verloren habe. Ich weiß zwar wo ich hin will, aber irgendwie weiß ich nicht so genau, wie ich dahin komme. Also improvisiere ich einfach mal wieder ein bisschen – weil ich das einfach am besten kann – und werde versuchen, die Sache langsam zu einem Ende zu bringen. Ich denke, langsam reicht es dann auch. Zumal der erste Blogpost nun schon einige Zeit her ist (und der ursprüngliche Plan war, das hier einfach nur über ein paar Wochen zu ziehen, was sich bei mir aber eigentlich immer als Fehleinschätzung erweist, also überrascht es nicht wirklich, dass es jetzt schon fast 3 Jahre läuft). Hier jedenfalls erstmal ein kurzer neuer Teil der Reihe, die ein Stück weit auf die Zielgerade führen soll.

Zu Teil 16

Fey steht am Steg und blickt ins Wasser. Ihr ist natürlich klar, dass sie mich darin nicht finden wird. Sie ist schließlich nicht so dämlich wie ich. Und natürlich weiß sie auch, wer mich in den See gezogen hat. Sie weiß aber auch, dass mit den Najaden nicht zu reden ist. Und sie weiß ebenfalls, dass die Najaden sie nicht einfach den See überqueren lassen werden, um mich zu holen. Fey geht zum Zirkus. Und man kann sicher sein, dass sie das nicht gerne tut. Aber manchmal muss man eben das tun, was einem am meisten widerstrebt.

Direktor Rullon sitzt in einem breiten Sessel in seinem Büro, das er sich in einem Zirkuswagen eingerichtet hat. Rullon sitzt so entspannt an seinem Schreibtisch, dass Fey ihn noch mehr verabscheut, als ohnehin schon. Dabei mag sie eigentlich alle Leute. Selbst mit dem verdammten Minotaurus versteht sie sich gut. Aber Rullon ist ihr einfach ein Dorn im Auge. Es gibt allerdings Situationen, in denn man sich mit dem Feind verbünden muss. Und da Fey in der Stadt offenbar keine anderen Freunde hat, außer dem Trottel, der in diesem Moment auf einer Insel festsitzt, auf der nur ein Minotaurus lebt, der ihm am liebsten den Kopf abreißen würde, bleibt ihr nun mal nur das Zirkusvolk.

Rullon grinst Fey an. Er weiß natürlich, dass sie etwas von ihm will. Und das bedeutet, dass sie anschließend in seiner Schuld stehen wird.

»Wie kann ich behilflich sein, Fey? Lass mich raten. Dein Freund steckt in Schwierigkeiten.« Rullon wartet keine Antwort ab. »Natürlich weiß ich alles. Dies ist ein Zirkus. Unsere Seherin sieht alles und informiert mich über alles, was in der Stadt passiert.« Rullon beugt sich auf seinen Schreibtisch und schaut Fey streng an. »Die Frage ist also eher, was du für mich tun kannst, wenn ich deinen Freund von der Insel hole.«

Fey ist sich der Tatsache bewusst, dass sie Rullon nicht mit einer simplen Schuldbegleichung zufrieden stellen kann. »Ich erfülle dir einen Wunsch«, schlägt sie vor. »Was immer du willst.«

»Das wollte ich hören.« Rullon steht auf und führt Fey ins Zirkuszelt.

Der Feuerschlucker mit der Schuppenhaut steht da, als würde er nur darauf warten, dass ihm jemand etwas zu tun gibt. Rullon gibt ihm etwas zu tun.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 18

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #16

Zu Teil 15

Ich spucke Wasser aus und bleibe für einen Moment in der Pfütze liegen. Der Boden ist matschig. Ich schaue auf. Überall liegt vergammelter Scheiß rum. Ich bin wieder auf der Insel. Ich schwöre mir, nach dieser Geschichte nie wieder in die Nähe von Wasser zu gehen, das nicht aus einem Wasserhahn kommt. Zwei nackte Füße tauchen vor mir auf. Ich schaue hoch. Eine Frau steht vor mir. Zwischen ihren nackten Brüsten kann ich zumindest ein Stück ihres Gesichts sehen, das über den See blickt und mich nicht im geringsten beachtet. Ich stehe auf, um mal zu schauen, ob sie nur verwirrt ist, oder so irre wie alle anderen in der Stadt. Die Tatsache, dass sie nackt ist, lasse ich erst mal außer Acht. Exhibitionistinnen sind mir auf den ersten Blick erst mal sympathisch.

»Entschuldige die ungemütliche Reise«, sagt die Frau und stört sich offensichtlich nicht daran, dass ich ihr im Sekundentakt auf die Brüste glotze wie ein pubertierender Vollidiot. Sie schaut mich nicht mal an, sondern guckt weiter auf den See. »Aber es wird höchste Zeit, dass wir uns unterhalten.«

Hinter ihr tauchen weitere Frauen auf. Ich trete einen Schritt zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so vielen nackten Brüsten gewachsen bin.

»Ich weiß zwar, dass du mir die Frage ohnehin nicht beantworten wirst, aber ich frage trotzdem: Wer seid ihr?«

»Wir sind Najaden. Ehemalige Wasserwächterinnen.«

Überrascht über die Ehrlichkeit muss ich kurz überlegen, was ich als nächstes sage. »Also hat der Nix euren Job übernommen?«

»Nein. Wir haben schon immer koexistiert. Nixe, Najaden, Nymphen. Wir sind alle eins.«

»Also alles was mit dem Buchstaben N beginnt?«

»Alles was für den Schutz der Gewässer zuständig ist.«

»Okay. Und was wollt ihr von mir?« Ich schaue mir die nackten Frauen an, die sich im Kreis um mich versammelt haben. »Ich habe eine Freundin.«

»Du und deine Freundin seid im Begriff einen schwerwiegenden Fehler zu begehen.«

»Genau das denke ich jeden Morgen direkt vor dem Aufstehen. Man gewöhnt sich dran.«

Die Najade schaut mich mit einem Blick an, der ganz deutlich macht, dass sie eigentlich absolut keine Lust hat, sich mit einem Trottel wie mir zu befassen. »Der Nix ist nicht euer Feind.«

Ich weiß langsam nicht mehr, wem ich überhaupt glauben soll. Jeder scheint auf die ein oder andere Weise mein Feind zu sein. Natürlich stellt sich jeder selbst als der »Gute« hin. Und vielleicht bin ich dann hier der »Böse«. Aber langsam habe ich keinen Bock mehr, ständig neu belehrt zu werden.

»Wir wissen schon, was wir tun«, sage ich. »Ihr könnt mich dann zurück ans Festland bringen.«

»Nein.« Die Najaden lassen mich an dem verdreckten Strand stehen und hüpfen in den See.

Ich gucke ins trübe Wasser und überlege, ob ich es wohl schaffen könnte, an Land zu schwimmen. Ich war nie ein guter Schwimmer. Und da ich nicht weiß, was sonst noch so in dem dreckigen Wasser lebt, entferne ich mich lieber einige Schritte vom Ufer. Ich könnte zurück zum Minotaurus gehen und ihm die Situation erklären. Aber ohne Fey an meiner Seite besteht erhöhte Gefahr, dass er mir den Kopf abreißt. Ich schätze, ich muss darauf zählen, dass Fey mich von der Insel holt. Ich hoffe, es geht ihr gut.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 17

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost # 15

Zu Teil 14

Der Minotaurus ist so nett, uns durch den Hinterausgang hinauszuschicken, damit wir nicht durch das Labyrinth zurückirren müssen. Ich schätze, er hätte mich gerne zurück in die versiffte Höhle geschickt aber er wollte wohl keinen Ärger mit Fey. Ich glaube, er steht auf sie. Konkurrenz kann ich gerade wenig gebrauchen. Eigentlich kann ich Konkurrenz nie gebrauchen. Wenn es um die Frauen geht erst recht nicht. Mich wundert es ohnehin immer noch, dass sich Fey mit einem Verlierer wie mir eingelassen hat. Sie hüpft wie immer fröhlich neben mir her, als wir den Strand entlang laufen. Sie lächelt fröhlich, als wir zurück ans Festland rudern. Die Fröhlichkeit wird von einer Stimme vertrieben.

»Langsam kriege ich das Gefühl, dass ihr etwas im Schilde führt, dass mir gar nicht gefällt.« Der Sheriff lehnt an einer Mauer und hat die Daumen in seinen Wolfsfellgürtel geschoben, als wäre er ein cooler Highschooldraufgänger aus den Sechzigern.

Wir steigen aus dem Boot. Fey mit einer Leichtigkeit, die vermuten lässt, dass sie Flügel hat. Ich so ungeschickt, dass ich fast im Wasser lande. In letzter Sekunde kann ich aber an Land springen und lege mich da auf die Fresse. Immerhin bin ich nicht nass geworden. Der Sheriff stellt sich vor mir auf und schaut auf mich herab. »Also, was heckt ihr aus?«, fragt er grinsend. Seine Zähne sehen aus, als hätte er schon mehrmals in das ein oder andere Bein gebissen, um einen Flüchtigen zu stoppen. Allerdings tut er das vermutlich nur bei Vollmond, also gehe ich davon aus, dass ich erst mal nichts zu befürchten habe.

Ich stehe auf und schaue ihn an. »Wir suchen ein paar Silberkugeln«, sage ich.

Sein Grinsen verzieht sich zu einem ausdruckslosen Strich. »Witzig«, sagt er und es ist klar, dass er absolut anderer Meinung ist. »Was wolltet ihr auf der Insel?«

Ich will etwas sagen, aber er hebt seinen Zeigefinger vor mein Gesicht. »Und keine dummen Antworten, sonst beiße ich.« Er schnappt mit seinen gelben Zähnen in meine Richtung.

Ich glaube zwar nicht, dass er in dieser Gestalt wirklich Leute beißt, aber ich will kein Risiko eingehen. »Wir brauchten etwas vom Minotaurus.«

»Was?«

»Stahl.«

»Warum?«

»Für einen Käfig.«

»Wofür?«

»Ich will mir einen Wellensittich kaufen.«

»Was habe ich dir wegen den dummen Antworten gesagt?«

»Wir müssen einen Nix einfangen«, sagt Fey und nimmt mir damit mal wieder das Reden ab, worüber ich durchaus glücklich bin. Ich schlage mich ungerne mit den eigenartigen Gestalten rum,die plötzlich überall in der Stadt rumzulaufen scheinen.

»Einen Nix einfangen,« er heult überrascht auf, »da habt ihr euch ja was vorgenommen.« Er scheint augenblicklich das Interesse an dem Thema zu verlieren. »Ihr habt nicht zufällig kürzlich die Frau gesehen, die ich suche?«

»Zu letzten Mal, als du in meiner Wohnung warst. Meine Tischdecke konnte dir offenbar nicht weiterhelfen.«

»Willst du sie wiederhaben?«

»Nein, danke. Ich hab noch genügend anderen Krempel, den ich ankokeln kann.« Ich schaue über seine Schulter. Auf einem Gebäude hinter ihm steht eine vermummte Gestalt.

Der Sheriff dreht sich um und schaut in die gleiche Richtung. Die Gestalt regt sich nicht. Er wird sichtlich nervös. »Ich muss weiter«, sagt er knapp und verschwindet.

Ich schaue Fey fragend an. Dann wieder zu dem Gebäude. Die Gestalt ist verschwunden. Ich schüttele den Kopf. Ich habe genug Dinge, um die ich mir Gedanken machen muss. Seltsame Gestalten, die auf alten Häusern stehen, müssen sich hinten anstellen.

Ein leises Platschen kommt aus dem See. Ich gucke ins Wasser, aber es ist nichts zu sehen. Vermutlich ein Fisch, der etwas auf der Wasseroberfläche gefangen hat. Ich nehme Fey an der Hand und will gehen. Ein weiteres Platschen hält mich davon ab. Im Wasser regt sich nichts. Die Oberfläche ist ebenfalls still. Stille Wasser sind tief, sagte irgendjemand irgendwann. Ich versuche, so tief wie möglich in den See zu schauen. Ich kann nichts erkennen, außer das Licht der Sonne, dass sich im Wasser spiegelt. Aus dem Licht taucht ein Gesicht auf. Etwas springt aus dem Wasser nach oben. Es packt mich, bevor ich überhaupt realisieren kann, was da gerade passiert. Ich werde ins Wasser gezogen und schneller, als es ein Mensch könnte, zieht mich das Wesen durch den See. Da ich nicht mal Zeit hatte, vorher tief einzuatmen, geht mir schnell die Luft aus. Alles wird schwarz. Ich fürchte, das wars. Uh, das reimt sich, denke ich, während ich absaufe.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 16

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #14

Zu Teil 13

Gorda schaut mich an, als würde er mich am liebsten an einer seiner Ketten durch das Labyrinth führen. Ich stehe nicht auf sowas, aber wenn Fey mich fragen würde, würde ich wohl ja sagen. Ich kann ihrem Lächeln einfach nicht widerstehen. Glücklicherweise erinnert sie sich daran, dass wir wegen etwas anderem hier sind.

»Wir brauchen deine Hilfe, Gorda.«

»Das ist mir bewusst, Fey. Sonst wärt ihr wohl kaum hier.« Er steht breitbeinig da und hat den langen Stab seines Vorschlaghammers auf der Schulter. Wenn man bedenkt, wohin die Kette verschwindet, ist es wahrscheinlich nicht möglich, seine Beine näher zusammenzubringen. »Die Frage ist, wie ausgerechnet ich euch helfen kann.«

»Erst mal würde mich interessieren,was mit den Opfern passiert ist, die vor Jahren hier ins Labyrinth geschickt wurden.«

Mir gefällt der Blick nicht, mit dem Gorda Fey anguckt. Scheinbar hat sie direkt seinen wunden Punkt erwischt. Bei einem Mann wie ihm ist das sicher keine gute Sache.

»Natürlich willst du das wissen, Fey. Du warst schon immer eine von der neugierigen Sorte.« Gorda lässt den Vorschlaghammer auf den Boden krachen und geht ans Feuer, das in der Mitte des Raums lodert. Er wirft einen Holzscheit nach. »Du solltest mittlerweile wissen, das deine Neugierde dich in ernste Schwierigkeiten bringen kann.« Er wirft noch einen Scheit nach und schaut uns ausdruckslos an.

Ich habe das Gefühl einschreiten und meine Freundin verteidigen zu müssen. »Drohst du ihr?«, höre ich mich fragen. Über mich selbst überrascht stehe ich wie angewurzelt da, als Gorda auf mich zustürmt. Direkt vor meiner Nase bleibt er stehen.

»Was willst du Wicht dagegen tun?«, fragt er.

Ich habe keine Antwort, aber langsam die Schnauze davon voll, dass jeder mich rumschubst und meint, er wäre mir überlegen. Auch wenn sie alle Recht damit haben. »Ach, fick dich doch«, schreie ich ihn an und bin erstaunt darüber, dass ich mich das traue und noch mehr darüber, dass er zurückzuckt. Ich nutze die Gelegenheit und setze nach. »Fick dich. Fick deine Ketten. Und fick deine Stierhoden, die an der Kette liegen. Was soll der Scheiß überhaupt? Bis du pervers oder was?«

Er schaut mich an und reagiert, wie ich es nicht erwartet hätte. Er öffnet seine Hose und zieht sie aus. Ich verziehe das Gesicht beim Anblick seines Stiergemächts. Die anschließenden Gedanken drehen sich eher um Eifersucht und die Angst, dass Fey mich alleine nach Hause schicken könnte. Zu meinem Glück scheint sie nicht sehr beeindruckt zu sein. Ich schüttele die Verwunderung darüber aus meinem Kopf und folge der Kette mit den Augen. Sie endet nicht da, wo ich vermutet hätte. Sie führt hinunter zu seinen Knöcheln, wo sie an Fußfesseln befestigt ist. Offenbar ist er nicht so frei, wie er es gerne wäre.

»Hast du noch mehr dumme Fragen, oder können wir uns dann den wichtigen Dingen widmen?« Mich wundert es, dass keine Rauchschwaden aus seinen Nasenlöchern kommen. Er wendet sich Fey zu, weil er von mir die Schnauze voll hat. Ich habe vollstes Verständnis.

»Den Mädchen und Jungen geht es gut«, sagt der Minotaurus knapp und gibt mit seinem Blick zu verstehen, dass es höchste Zeit für einen Themenwechsel ist.

Fey ist schlau genug, der stillen Forderung nachzukommen. »Ich hatte gehofft, du wüsstest einen Rat um uns zu helfen«, sagt sie. »Wir müssen einen Nix bekämpfen.«

»Da seid ihr hier genau richtig. Es gibt nur eine Sache, die einem Nix Schaden zufügen kann.« Gorda geht zu einem Metallbehälter und zieht einen unförmigen Klumpen heraus.

»Ein unförmiger Klumpen kann einem Nix schaden zuführen?« Ich bin mal wieder nicht ganz so schnell von Begriff wie es mir gut tun würde. »Sollen wir ihm damit den Schädel einschlagen?«

»Es geht nicht um die Form. Es geht um das Material, du Pferdehirn.« Gorda spricht wieder mit Fey. »Es handelt sich um Stahl.«

»Stahl? So etwas simples? Vielleicht sollten wir ihn einfach mit Besteck bewerfen.«

»Damit wirst du ihm kaum etwas anhaben, du Schafskopf.«

»Was schlägst du vor, Gorda?« Fey lenkt gekonnt davon ab, dass ich seinen Hass auf mich ziehe.

»Kommt darauf an, was ihr vorhabt.«

»Wir wollen ihn nur aus dem Verkehr ziehen«, sagt Fey. »Ohne Verletzungen«, fügt sie hinzu.

»Ich habe dabei an einen Käfig gedacht«, sage ich.

Der Minotaurus setzt zu einem Hasskommentar an, aber bremst sich sebst. »Gar keine schlechte Idee, Schweinebauch.« Er tätschelt mir sanft den Bauch und ich habe das Gefühl, dass ich mir den Magen gleich mehrmals gebrochen habe.

»Danke«, knirsche ich durch zusammengebissene Zähne und hoffe, dass wir bald hier rauskommen.

»Ich kann euch einen Stahlkäfig schmieden. Aber das dauert eine Weile.«

»Von was für einer Weile reden wir hier?«

»Ein paar Tage.« Er schaut in den Metallbehälter. »Ich muss mehr Stahl besorgen. Geht nach Hause. Ich bringe den Käfig vorbei, wenn er fertig ist.«

»Ich denke, du darfst das Labyrinth nicht verlassen.«

»Ich darf tun und lassen was immer ich will«, schnauft er in mein Gesicht. Er atmet tief ein und fügt hinzu: »Du Affenarsch.«

Wir gehen dann mal lieber.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 15

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #13

Zu Teil 12

Ich schaue Fey verdutzt an. »Warum sollte ich den Weg kennen? Bis vor Kurzem wusste ich nicht mal, dass diese Kackhöhle existiert.«

»Stimmt. Mein Fehler.«

Ich bin sicher, dass sie mir mal wieder nur die Hälfte erzählt, weil sie mehr nicht verraten darf oder will. Aber ich werde mich später damit befassen. Momentan ist mein Primärziel, diese eklige Höhle zu verlassen.

»Also, wie kommen wir jetzt wieder hier raus?«

»Es ist ein Labyrinth«, sagt Fey und beantwortet damit alles, nur nicht meine Frage. Nun ja, und eigentlich auch sonst nichts, was nicht ohnehin völlig offensichtlich wäre. »Wir hätten uns den Weg markieren können.«

»Hätten wir, ja. Wir hätten auch einfach mit dem Arsch zu Hause bleiben können. Aber ›hätte‹ bringt uns jetzt nicht wirklich weiter, oder?« Ich klinge etwas aggressiver, als ich es will. Immerhin sehe ich in der Dunkelheit nicht Feys Reaktion und fühle mich deshalb nur halb so schlecht, wie ich es sollte. Ich mag die Dunkelheit und den Geruch und den Bodenbelag und überhaupt alles in der Höhle ganz und gar nicht.

Fey fasst mich an den Schultern. Direkt vor mir kann ich ihre glänzenden Augen erkennen, die selbst in dieser Düsternis nicht ihre Anziehungskraft verlieren.

»Schließe deine Augen«, sagt sie. Ich tue es. »Konzentriere dich«, sagt sie. Ich versuche es. »Weise uns den Weg«, sagt sie. Ich scheitere.

Ich kapiere nicht, was sie meint. Ich kenne den Weg nicht. Woher auch.

»Wenn du dich konzentrierst, wirst du den Weg finden.« Fey meint es offensichtlich ernst.

Ich versuche es erneut. Mit geschlossenen Augen – was ohnehin keinen Unterschied macht – taste ich mich durch die Dunkelheit. Ich konzentriere mich auf meine Umgebung. Ich stelle mir vor, wie ich meine Sinne schärfe. Ich lausche nach wegweisenden Gräuschen. Es sind keine da. Ich warte auf einen Luftzug, den ich auf meiner Haut spüre, der mir zeigt, wo der Ausgang sein könnte. Es kommt keiner. Ich rieche nach verdächtigen Gerüchen. Das war ein Fehler. Ich huste und atme lieber durch den Mund weiter.

»Das kannste vergessen«, keuche ich hervor.

Fey seufzt. »Gibst du immer so schnell auf?«

»Du hast doch gesehen, wie ich lebe, oder? Meinst du diesen unfassbar hochwertigen Lebensstil könnte ich mir leisten, wenn ich schnell aufgeben würde?«

»Du hast doch gar keinen hochwertigen Lebensstil.«

»Die Sache mit dem Sarkasmus muss ich dir wohl doch noch mal genauer erklären.«

Es ist einer dieser Momente, in denen man einfach nur einmal tief einatmen will, um dann »scheiß drauf« zu sagen, das Mädchen bei der Hand zu nehmen und sich ins Abenteuer zu stürzen. Ich atme tief ein, sage »scheiß drauf«, suche nach Feys Hand, fingere versehentlich an anderen Körperstellen herum, bevor ich ihre Finger zu fassen kriege und entschuldige mich, bevor ich mich mit ihr ins Abenteuer stürze.

»Ich führe uns hier raus«, sage ich entschlossen, »und wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Ein lahmer Spruch, ich weiß. Aber manchmal fällt einem einfach nichts besseres ein, wenn man in einer dunklen versifften Höhle rumsteht.

Eine gefühlte Ewigkeit schleife ich Fey durch das Labyrinth. Ich bin bereit tatsächlich aufzugeben, als ich aus den Augenwinkeln einen Lichtschein erkenne. Es ist nur ein Schimmern und es ist nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, aber es ist ein Ziel.

Das Licht stammt von einer Fackel, die an der Wand hängt. Sie ist erloschen, aber noch warm. Einige Meter weiter hängt noch eine Fackel. Die Flammen versuchen sich verzweifelt am Leben zu halten, aber sie haben keine Chance.

»Wir sollten diesen Fackeln folgen, bevor sie erlöschen«, sage ich.

Fey widerspricht nicht. Offenbar habe ich zum ersten Mal seit … immer, eine gute Idee.

Er sieht aus wie einer dieser muskulösen, tätowierten, am ganzen Körper mit Piercings behangenen Rockstartypen, die man unweigerlich zum kotzen finden muss, weil sie rüberkommen wie eingebildete Arschlöcher, die tatsächlich meinen, dass die Weiber, die sie jeden Abend flachlegen, sich für sie und ihre Kackmusik interessieren. Aber er ist anders. Er ist kein Musiker. Und er weiß, dass ihn alle hassen. Aber es ist ihm scheißegal. Ich respektiere so eine Einstellung und mag ihn sofort. Obwohl er ein Arschloch ist.

Er stochert mit einem glühenden Schürhaken in einem Feuer herum und hält die heiße Spitze nah an seinen übergroßen Nasenring, von dem aus eine Kette in seine Hose verläuft. Ich bin unendlich froh, dass er eine Hose an hat.

»Ihr habt euch Zeit gelassen«, sagt er und legt den Schürhaken auf einen Amboss. »Nochmal hätte ich die Fackeln nicht angezündet.«

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 14

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #12

Zu Teil 11

»Du hättest mir wirklich mal was sagen können«, sage ich zu Fey, während wir uns vom Zirkusplatz entfernen.

»Tut mir leid. Ich konnte dir nicht mehr sagen.« Sie tupft mit einem Lappen an meinem Gesicht herum und küsst mich auf die Wange. Ich nehme die Entschuldigung an.

»Also gut«, ich zünde mir eine Zigarette an, um meine Nerven zu beruhigen, »wie geht es jetzt weiter?«

»Ich schätze, wir müssen Nick suchen und ihn irgendwie einfangen, oder sowas.«

»Einsperren ist eine gute Idee. Aber wie?«

»Ich denke, wir sollten in das Labyrinth gehen«, sagt sie.

»Weil das immer eine gute Antwort ist, oder hat das einen besonderen Grund?«

»Der Minotaurus wird uns helfen können.«

 

Die Erkenntnis, dass ich aus gutem Grund nie in einem Ruderboot gesessen habe, manifestiert sich, als ich mit Fey über einen See zu einer kleinen Insel paddel. Wir wären wohl eher angekommen, wenn ich nicht eine Viertelstunde damit verbracht hätte, das Boot mit einem Paddel auf dem See im Kreis zu drehen bevor ich heraus finde dass man so nicht wirklich voran kommt.

Die Insel ist nicht gerade ein tropisches Paradies. Offensichtlich hat jeder Bewohner der Stadt mindestens ein Mal seinen Schrott hier abgeladen. Zwischen verwelkten Sträuchern und toten Bäumen liegen alte Autoreifen, Müllbeutel und eine rostige Badewanne.

»Paradiesisch«, sage ich. »Wo ist das Labyrinth?«

Fey schaut sich um und zeigt in eine Richtung in der ich nichts sehe, außer alten Ramsch und Müllberge. Ich folge ihr, da sie offenbar mehr sieht, als ich. Irgendwo hinter dem ganzen Plunder versteckt sich ein Höhleneingang, der ungewöhnlich sauber, aber gewöhnlich uneinladend aussieht.

»Bist du sicher, dass wir da rein gehen wollen?« Ich habe eine Abneigung gegen gammelige Höhleneingänge, aus denen ein Geruch weht, als hätte darin ein Massenmörder seine Opfer in einer Jauchegrube versteckt.

»Du kannst hier drau0en warten, wenn du willst.«

»Und dich alleine in die dunkle Todeshöhle schicken? Würde ich tun, aber mein ausgeprägter Kavalierssinn hindert mich daran.« Ich betrete die Höhle und atme durch den Mund weiter. »Und er sorgt dafür, dass ich sogar vorgehe.«

»Mein strahlender Held.« Fey grinst mich glücklich an.

»Toll. Du hast den Sarkasmus für dich entdeckt. Ab jetzt bin ich offiziell komplett in dich verknallt.« Ich gebe ihr einen Kuss, um zu beweisen, dass ich auch mal die Initiative ergreifen kann. Dann gehe ich entschlossen weiter in die Dunkelheit.

Kurz darauf erschrecke ich mich vor meinem eigenen Schatten und lasse Fey vorgehen, die sich in der Finsternis besser zurecht zu finden scheint. Offenbar haben Feen bessere Augen als daueralkoholisierte Vollidioten.

Die Höhle ist feucht, muffig und dunkel. Der Boden knirscht bei jedem Schritt. Steiniger Boden sollte nicht knirschen. Ich will gar nicht wissen, worauf wir gerade herumlaufen. Fey denkt nicht darüber nach. Sie scheint wie üblich einfach über den Boden zu schweben und alle Sorgen, die vor ihr liegen, bereits hinter sich gelassen zu haben. Ich suche in meiner Hosentasche nach meinem Feuerzeug, da sich der dämliche Gedanke in meinem Kopf festgesetzt hat, herausfinden zu müssen, was da auf dem Boden liegt. Es ist wahrscheinlich ein glücklicher Zufall, dass ich mein Feuerzeug offenbar zu Hause vergessen habe.

Wir irren scheinbar ewig durch dunkle Gänge. Ich taste mich hinter Fey her, die einem Weg folgt, den nur sie sieht. Zumindest nehme ich das an. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit des Umherirrens frage ich sie, wie lange wir noch durch die stinkige Höhle stolpern müssen.

»Weiß ich nicht«, ist ihre ehrliche Antwort. Sie bleibt stehen und ich pralle in der Finsternis mit ihr zusammen. Sie bleibt unbeeindruckt an Ort und Stelle. »Du kennst doch den Weg.«

Ich gucke doofer als je zuvor. Zum Glück sieht mich in der Finsternis niemand.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 13

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #11

Zu Teil 10

Ich schaue Fey an. Sie scheint sich so unsicher wie ich zu sein, ob wir wirklich hier im Zirkuszelt stehen sollten, während ein Dompteur eine Horde Tiger durch brennende Reifen springen lässt.

Der Zirkusdirektor und die Rauhaut an seiner Seite kommen mit einigen Büchern angelatscht.

»Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, erkennt der Direktor richtig und ist dabei, diesen Umstand zu ändern. »Mein Name ist Rullon. Ich leite diese Manege.«

Er verzichtet darauf, uns einen Händedruck anzubieten, was ihn für mich zumindest ein kleines Stück sympathischer macht. Dieses ständige Fettfingergewurschtel, wenn man jemanden kennen lernt, ging mir schon immer gegen den Strich. Wer weiß, wie oft sich die neue Bekanntschaft gerade am Arsch rumgefummelt hat, kurz bevor er mir seine versiffte Hand hin hält.

»Ich habe erfahren, dass du, liebe Fey, im Entführungsfall recherchierst und ich denke, dass ich äußerst behilflich sein kann.«

»Warum sollte ich dir trauen, Mantikor?« Fey scheint ihn zu kennen. Und nicht zu mögen.

»Liebe Fey, wir sind sicher nicht immer einer Meinung, aber in diesem Fall können wir uns gegenseitig behilflich sein. Betrachte es als eine geschäftliche Vereinbarung.«

»Du weißt genau, dass ich keine Geschäfte mit Leuten wie dir mache. Auch eine Fee hat ihren Stolz.«

»Fey. Es ist ganz einfach.« Rullon schnippt mit den Fingern und der Handlanger haut mir mal wieder eine rein, wobei mir seine Schmiergelpapierhaut die Bartstoppeln von der Wange schleift. »Entweder du hilfst mir, oder dein Freund hier stirbt. Und das ist sicher nicht in deinem Interesse.«

»Das kannst du nicht machen.« Fey ist zum ersten Mal, seit ich sie kenne, nicht die Ruhe in Person. Beunruhigend. »Ich brauche ihn. Wir brauchen ihn.«

»Ich gebe nichts auf die Menschen und das Schicksal und den ganzen Quatsch. Das weißt du genau.«

Ich spucke etwas Blut in den Sand. »Ich übrigens auch nicht«, sage ich und kriege dafür direkt noch eine geschallert. Immerhin auf der anderen Seite des Gesichts, wodurch mein Bartwuchs wieder ausgeglichen sein dürfte. »Vielleicht können wir uns einig werden«, sage ich und versuche mir die Schmerzen in der Visage nicht anmerken zu lassen.

»Vernünftige Entscheidung, mein Freund«, sagt der Direktor und holt ein Buch hervor. Er setzt sich auf einen Hocker, auf dem vor wenigen Minuten noch ein Tiger gesessen hat. »Wie ihr euch sicher schon gedacht habt, geht es um Nick. Nun, ich möchte euch etwas über ihn erzählen.«

Wir setzen uns hin. Nicht weil wir nicht mehr stehen können, sondern weil der Direktor mit einer Handbewegung klar macht, dass stehen bleiben keine Option ist. Seine dicken Finger greifen in die Brusttasche seines hässlichen Jacketts, aus dem er zu platzen droht. Er holt eine Brille hervor deren Bügel sich auseinander dehnen, als er sie über seinen kantigen Schädel schiebt.

»Dieses Buch wurde mir und meinem Bruder geschenkt, als wir Kinder waren.« Er klopft mit der Hand auf den Buchdeckel. »Und die Geschichte darin sorgte immer für, sagen wir, Auseinandersetzungen zwischen ihm und mir.

Wir gehören zu den Wächtern. Ich habe mich schnell damit abgefunden, dass es meine Bestimmung ist, dafür zu sorgen, dass die Welt im Gleichgewicht bleibt. Dass alles seinen geregelten Gang geht. Die Welt und ihre Bewohner zu beschützen ist meine Aufgabe. Und ich nehme diese Aufgabe ernst.« Er schaut Fey an. »Du weißt, dass ich keine Zurückhaltung kenne, wenn es darum geht, meine Aufgabe zu erfüllen.«

»Du wolltest hunderte Unschuldiger töten.«

»Das war notwendig. Sie stellten eine Gefahr dar.«

»Du weißt genau so gut wie ich, dass das nicht wahr ist. Die meisten haben überlebt und die Welt existiert weiterhin.«

»Dann wurden wohl genau die richtigen ins Jenseits befördert.«

»Dir ist wirklich alles recht, um deine Ziele umzusetzen, nicht wahr?«

»Meine liebe Fey, es geht hier nicht um mich. Oder dich. Oder ihn.« Er hebt nicht mal einen Finger, um auf mich zu zeigen. Vermutlich hat er mich schon abgeschrieben. Er könnte recht haben. »Es geht um das Wohle aller. Und dafür ist mir jedes Mittel recht.« Er sieht Fey an, als wollte er ihr den Kopf abbeißen. »Und dir sollte das egal sein. Du weißt, was beim letzten Mal passiert ist, als mir jemand in die Quere kam.«

»Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihr euch schon länger kennt«, sage ich und kriege als Antwort eine Reibeisenfaust an den Kopf.

»Aber heute, liebe Fey, können wir uns gegenseitig helfen.«

»Warum sollte ich dir helfen?«

»Weil wir den gleichen Feind haben.«

»Wen?«

»Meinen Bruder. Nick.«

»Nick ist dein Bruder? Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich.« Die Faust schmiergelt mir die Barthaare über die Wange. »Lass mich raten: Du bist adoptiert.«

Rullon hebt die Hand und verhindert so, dass mein Gesicht weiter geschmiergelt wird. »Diese ganze Sache ist viel komplexer, als du dir vorstellen kannst. Die liebe Fey hier hat dir sicher nicht alles erzählt.« Er schaut Fey an. »Ahnte ich doch. Siehst du, es gibt Regeln denen wir alle unterliegen. Für jeden gelten besondere Gesetzmäßigkeiten, an die er sich zu halten hat. Die liebe Fey beispielsweise darf dir nicht alles verraten, was du wissen musst, wenn du es nicht ausdrücklich wünschst. Sie ist eine Fee und kann dir somit zwar jeden Wunsch erfüllen, aber du musst wissen, was du wissen willst. Eine verzwickte Situation, wenn du mich fragst. Ich andererseits könnte dir alles erzählen. Aber ich habe kein Interesse daran, hier den Märchenonkel zu spielen, deshalb beschränke ich mich auf das für mich relevante.

Was ich nicht kann, ist meinen Bruder aufzuspüren und unschädlich zu machen.« Er sucht nach einer bestimmten Seite in dem Buch und hält uns ein Bild vor die Nasen. »Auf diesem Bild seht ihr die Wächter der alten Zeit. Unsere Vorfahren, wenn man es so nennen will. Zu jeder Zeit muss es genügend Wächter geben. Wenn ein Wächter abtritt, muss er durch einen neuen Wächter ersetzt werden. Diese Wächter werden schon in der Kindheit vom Schicksal bestimmt. Ich bin ein Wächter. Mein Bruder ist ein Wächter. Der Drache mit der schuppigen Haut, der dir so gerne ins Gesicht schlägt, wenn du mal wieder etwas dummes gesagt hast, ist ebenfalls ein Wächter. Und auch die liebe Fey hier ist eine Wächterin. Wir alle haben eine Aufgabe. Wir alle wachen über etwas. Die Fee wacht über die Wahrheit. Der Drache wacht über das Feuer. Der Nix wacht über das Wasser. Und so weiter.« Er legt das Buch auf seine Handfläche und balanciert es in der Luft. »Es existiert eine Art Gleichgewicht in der Welt. Wir sorgen dafür, dass dieses Gleichgewicht bestehen bleibt. Wird das Gleichgewicht zu sehr gestört …« Er lässt das Buch fallen. »… wäre das nicht gut. Nick ist dabei, dieses Gleichgewicht zu stören. Er ist von seinem Pfad abgekommen. Und deshalb müsst ihr ihn unschädlich machen.«

»Hör mal, ich bin kein Mörder. Auch wenn ich Nick schon einmal erschlagen habe. Ihr sucht euch also besser jemand anderen.«

»Oh, ihr müsst ihn nicht töten. Ihr sollt ihn nicht töten. Ihr müsst ihn nur aus dem Verkehr ziehen. Leider gibt es niemand anderen. Nick hat sich dir anvertraut. Du bist der Einzige, der ihn aufspüren kann.«

»Und warum sollten wir das tun?« Fey ist noch weniger überzeugt von der Idee als ich.

»Weil er der Mörder ist, den ihr schon die ganze Zeit sucht.«

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 12

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #9

Zu Teil 8

Ich sitze auf dem Sofa und gucke Nick dabei zu wie er die Wohnung aufräumt. Ich verstehe einfach nicht wie ein so abgewrackter Typ so einen Putzfimmel haben kann. Obwohl ich weiß, dass ich es bereuen werde kann ich meine Neugier nicht zurückhalten und frage Nick nach dem Drachen.

»Ja, mich verfolgt ein Drache«, sagt er und stopft ein Zettelgewirr in einen Müllbeutel.

»Bist du sicher, dass du dir das nicht nur einbildest? Ich meine, ein Drache fällt doch auf. Ich habe hier in der Stadt aber noch nie einen gesehen.«

»Die meiste Zeit ist er im Zirkus.«

»Es ist ein Zirkusdrache?« Mich wundert es weniger, als es sollte. Nick kam mir schon die ganze Zeit wie ein Clown vor, der aus dem Zirkus geflohen ist.

»Es ist kein Drache, der im Zirkus auftritt. Er ist der Handlanger vom Zirkusdirektor.«

»Der Direktor hat mich auch nach dir gefragt. Was will der Typ von dir?«

Nick lässt den Müllbeutel fallen und sieht mich durch seine fettigen Locken an. »Was hast du ihm erzählt?«

»Nichts.«

»Was hast du ihm erzählt?« Nick springt auf mich zu und packt mich am Kragen meines ausgeleierten Shirts. Seine hässliche Kauleiste kommt gefährlich nahe und der Fischgeruch aus seinem Mund beißt in meiner Nase. Zum Glück habe ich meinen Magen schon an der Brücke entleert, sonst hätte ich neben dem eingetrockneten Blutfleck auf dem Teppich eine zusätzliche Sauerei veranstaltet.

»Man, mach mein Shirt nicht kaputt. Das ist das letzte saubere, das ich habe.« Er lässt mich los. »Ich habe ihm nur erzählt, dass du unter einer Brücke lebst. Mehr wusste ich sowieso nicht.«

»Verdammt. Ich kann nicht zur Brücke zurück.«

»Was ist denn mit dem Typen? Was will er?«

»Den Fluss.«

»Den Fluss? Ist der nicht sowieso für alle da?«

»Du verstehst das nicht. Er will ihn für sich, um alles zu regieren. Land, Luft und Wasser. Er darf mich auf keinen Fall finden.«

Mir wird das schon wieder alles zu undurchsichtig. »Hier bist du jedenfalls nicht sicher«, sage ich, in erster Linie, um den Idioten loszuwerden. »Der Wanderzirkus weiß wo ich wohne. Du musst dir ein anderes Versteck suchen.«

»Also gut. Ich werde dir sagen, wo ich mich aufhalte.«

»Toll. Kann es kaum erwarten in deiner Absteige ein Bier mit dir zu trinken.«

Er kapiert Sarkasmus nicht und haut ab.

Wenige Sekunden später steht Fey im Türrahmen. Immerhin erhellt sie etwas diese Momente meiner völligen Verwirrung, die sich in letzter Zeit anhäufen.

»Was wollte der denn von dir?« Sie setzt sich neben mich.

»In erster Linie aufräumen.« Ich gucke mich in der Wohnung um. Das gröbste Chaos hat Nick zumindest beseitigt.

»Du solltest vorsichtig sein. Nick ist gefährlich.«

»Du kennst den Typen?«

»Natürlich. Er ist ein Nix.«

»Für Nichts kommt er mir aber sehr lebendig vor.«

»Nicht Nichts. Ein Nix. Eine männliche Nixe. Ein Flusswächter.«

»Fey«, ich ergreife ihre Hand, »du solltest dir wirklich angewöhnen, mir die Dinge so zu erklären, dass ich sie verstehe. Denn, um ehrlich zu sein, blicke ich immer noch nicht durch, was hier eigentlich abgeht.«

»Später.« Sie steht auf. »Ich wollte dich um einen weiteren Gefallen bitten.«

Ich stehe seufzend auf. »Welchen Irren willst du dieses Mal besuchen?«

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 10

Auf der Suche nach dem ersten Blogpost #8

Zu Teil 7

Suche nach Blogpost

Ich wache auf der Couch auf, da neben ihr kein Platz ist. Fey ist nicht mehr da. Nachdem sie mir etwas von magischen Wesen erzählt hat, die in der Stadt rumturnen schaltete sich mein Gehirn aus Selbstschutz ab, um nicht zu explodieren. Mein Schädel brummt und ich habe Rückenschmerzen von dem unbequemen Sofa. Ich stolpere im Slalom durch das Gerümpel in der Bude und über den Hausflur. Ich klopfe an Feys Tür. Sie öffnet, nur mit einem Handtuch bekleidet, und strahlt noch mehr, als es sonst schon der Fall ist. Jede Frau wäre stolz auf so eine strahlende Haut. Mein erster Gedanke ist, dass das nicht gesund sein kann. Hautkrebs ist in diesem Fall wohl noch das geringste Übel, das entstehen kann. Fey lächelt mich an und strahlt wie ein Engel. Natürlich ist sie kein Engel. Sie behauptet eine Fee zu sein. Fey die Fee. Ich glaube, sie ist einfach geisteskrank. Was soll’s? Wir haben doch alle einen an der Waffel. Sie bittet mich herein. Fee oder nicht, das Angebot schlage ich nicht aus. Sie lässt das Handtuch fallen und zieht mich am Arm ins Badezimmer. Unter die Dusche. Gute Sache. Seit der ganze Wahnsinn angefangen hat, bin ich nicht mehr zum duschen gekommen. Wahrscheinlich stinke ich schon wie Nick nach einer Nacht unter seiner Siffbrücke. Der Gedanke, dass sie mir wenigstens etwas Zeit hätte geben können, um meine Klamotten auszuziehen, wird von einem Kuss verdrängt. Immerhin wird meine Jeans so gleich mit gewaschen.

Fey muss arbeiten. Ich schleppe die nassen Klamotten über den Hausflur in meine Wohnung und werfe sie zum Trocknen in eine Ecke. Auf dem Couchtisch steht der Laptop. Der Blog-In-Progress ist seit Tagen geöffnet, aber kein Wort geschrieben. Ich setze mich hin und versuche, etwas in den ersten Post zu tippen. Meine Gedanken schwirren um Engel, Feen, Models und andere hübsche Gestalten. Was soll ich damit anfangen? Die Tür gegenüber fällt ins Schloss. Fey ist schon wieder zu Hause. Ich glotze durch den Türspion. Fey verlässt wieder ihre Wohnung. Ich öffne meine Tür und kann gerade so verhindern, dass sie Fey auf den Kopf fällt, als die Angeln nachgeben. Ich lege die Tür in den Flur und frage, warum Fey nicht arbeiten ist, wie sie gesagt hat. Ich klinge wahrscheinlich wie ein eifersüchtiger Ehemann. Da findet man ein mal ein Mädchen, dass einen nicht beim ersten Treffen in den Wind schießt und schon erhebt man Besitzansprüche. Ich hasse mich selbst für die Frage. Fey hat etwas Wichtiges vergessen, das sie auf der Arbeit braucht. Ich kann mich davon abhalten, zu fragen was es ist. Sie soll nicht denken, dass ich ein eifersüchtiger und neugieriger Arsch bin. Eins der beiden reicht erst mal. Da ich eh nichts im Blog zustande bringen werde, biete ich an sie zur Arbeit zu bringen und dann ein paar Erledigungen in der Stadt zu machen. Auch wenn ich selbst nicht den blassesten Schimmer habe, was für Erledigungen das sein sollen. Sie freut sich über das Angebot, schlägt aber vor, dass ich mir zumindest eine Hose anziehen soll. Eine gute Idee. In der Küche finde ich eine Jogginghose, die noch nicht vor Dreck zu Stein erstarrt ist und ein fleckenloses Shirt.

Sie hat es offenbar nicht sonderlich eilig in die Redaktion zu kommen und schlendert langsam neben mir durch die Stadt. Sie ist verhältnismäßig ruhig. Zugegeben, sie ist sowieso keine, die dauernd rumlabert, aber zumindest ein oder zwei Worte könnte sie schon sagen. Zum Beispiel darüber, wie das Leben als Fee denn so ist. Ich überlege, ob ich sie einfach fragen soll, aber entscheide mich dagegen. Vielleicht will sie das Thema lieber vermeiden und ich will nicht riskieren, alles kaputt zu machen, was bis hier hin recht gut funktioniert hat. Ich werde die Sache mit ihr ohnehin noch versauen, aber das muss ja nicht ausgerechnet jetzt sein.

Wir erreichen das Büro. Sie bleibt vor der Tür stehen.

»Das war nett von dir«, sagt sie und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Ich täusche einen Hustenanfall vor, damit sie nicht sieht, wie ich wegen dem Kuss rot anlaufe. Wahrscheinlich glaubt sie jetzt, dass ich denke, sie hat die Pest, oder sowas.

Ich gehe weiter und wühle in meinen Taschen nach Geld, um mir mal ein paar lebensnotwendige Dinge zu kaufen. Das Kleingeld reicht gerade noch für Zigaretten. Das sollte für den Anfang reichen. Eventuell ist auch noch eine Dose Bier drin.

Auf dem Weg zum Kiosk überquere ich eine Brücke. Ich könnte auch zu einem anderen Kiosk gehen, aber der von Kyra ist mir am liebsten. Liegt vielleicht daran, dass sie nicht viel redet. Um ehrlich zu sein, habe ich sie noch nie ein Wort sprechen gehört. Dass sie die Kapuze ihres Pullovers immer so weit über den Kopf gezogen hat, dass man nichts von ihrem Gesicht sehen kann, würde anderen wohl komisch erscheinen. Aber wer kann es ihr verdenken? Es laufen viele Irre herum, die nur darauf warten, eine hübsche Kioskbesitzerin zu missbrauchen.

Während ich so über Irre nachdenke, klettert einer davon am rostigen Geländer der Brücke hoch, über die ich gerade laufe. Ich sehe ihn schon abschmieren und unten im Fluss landen, aber er schafft es irgendwie, sich über das Brückengeländer zu hangeln und vor mir auf dem Gehsteig zu landen.

Es ist Nick. Und ich dachte schon, der ekelhafte Fischgestank käme vom Hafen rübergeweht. Zu meinem Glück hat er keinen Schreibratgeber in der Hand, mit dem er mich erschlagen könnte.

»Ich brauche deine Hilfe«, sagt er, ohne den Mordversuch zu erwähnen.

»Glaube ich gerne«, sage ich und wühle in der Tasche nach meinem Kleingeld.

Er sieht sich nervös um, packt mich am Arm und schleift mich von der Brücke runter hinter einen Müllcotainer am Straßenrand. Ich wäre lieber auf der Brücke geblieben.

»Ich werde verfolgt«, stinkt er mir ins Gesicht.

Ich unterdrücke den Würgreiz, den sein Atem verursacht und versuche mich auf etwas anderes zu konzentrieren, was dummerweise seine grünen Zähne sind, die mich dann doch zum kotzen bringen.

»Bist du krank?«, fragt er.

Vollidiot. Ich hätte einen größeren Schreibratgeber nehmen sollen. »Was willst du, Nick?«

»Du musst mich verstecken. Ein Drache verfolgt mich.«

Mich beschleicht langsam das Gefühl, dass alle in der Stadt völlig bekloppt sind. Oder nur ich selber. Ich weiß was folgt und lade ihn zu mir nach Hause ein, damit er meine Bude aufräumen kann, während er mich mit einer weiteren abstrusen Geschichte nervt.

FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 9